Das bestimmendste Prinzip unserer Familienrechtspraxis ist das KINDESWOHL.
Dies ist ein „unbestimmter Rechtsbegriff“, der auch unbestimmt bleiben soll, um den Professionen weiterhin ihren „Entscheidungsspielraum“ zuzugestehen (Äußerung von OLG-Richtern beim Dt. Familiengerichtstag).
Dieses nicht greifbare Entscheidungskriterium muss auch bleiben, solange damit ein hoch defizitäres System aufrecht erhalten bleiben soll, das meist einem Elternteil weitgehend das Kind entzieht und das Kind weitgehend zur Halbwaise macht. Damit separiert unser System in einem konfrontativ angelegten Verfahren (Antragsteller und Antragsgegner) mit Sekundanten als Scharfmacher (Fachanwälte für Familienrecht als Brandstifter und Waffenlieferanten in ein Krisengebiet) Eltern in einen Gewinner und einen Verlierer, anstatt sie daran zu erinnern, dass sie ihre kooperative Leistung im Elternkonsens dem Kind als Bringschuld zu sichern haben. ALLE Unterstützung des Systems müsste in dieses Ziel investiert werden.
Stattdessen wird alles genutzt, um den meist schon vorher feststehenden Verlierer (zu 85% der Vater) als solchen zu bestätigen. Damit wird das Zerrüttungsprinzip zu einem sorgsam getarnten Schuldprinzip, in dem der Schuldige nicht mehr gesucht werden muss, sondern schon am Anfang feststeht.
Dass eine solche desaströse Vorgehensweise mit fatalen Konsequenzen für die betroffenen Familien, die betroffenen Einzelpersonen und nicht zuletzt in den Auswirkungen für unsere gesamte Gesellschaft – die schließlich die verbogenen Viten der Betroffenen in sich subsummiert – durch nebulöse Entscheidungsprozesse gesteuert werden muss, die durch den Einsatz des unbestimmten Rechtsbegriffs „Kindeswohl“ und den Einsatz meist pseudo-wissenschaftlicher Gutachten geprägt sind, erscheint nichts weiter als logisch.
Ich möchte heute zwei Aspekte aus diesem Funktionszusammenhang besonders hervorheben:
- Die Ausschaltung von Erziehung durch die Professionen im familialen Verfahren – und
- Den Missbrauch des Kindes als Entscheider.
- Die Ausschaltung von Erziehung durch die Professionen im familialen Verfahren
Ich erlebe seit Jahrzehnten in Tausenden von Verfahrensabläufen die Zerstörung jedes erzieherischen Bemühens durch die Vorgehensweise der Professionen.
Erziehung nach einer Trennung der Eltern kann nur funktionieren, wenn zwischen den Eltern erzieherische Solidarität eine logische Selbstverständlichkeit darstellt. Zu einer solchen Logik sind aber sich trennende Eltern im Trennungsprozess meist nicht fähig. Die Aufgabe der Professionen müsste sein, in diesem Konfliktfall einzugreifen und – wie im „Cochemer Weg“ als Funktionsprinzip installiert – die Eltern an ihre elterliche Verantwortlichkeit zu erinnern und sie darin zu unterstützen, diese leisten zu können.
Stattdessen toppen die Professionen die Konfrontation der Eltern damit, dass sie deren destruktive Befindlichkeit und deren konfrontative Aufstellung zur Sicherung der eigenen Daseinsberechtigung, als Machtinstrument und als Mittel zur Gewinnmaximierung nutzen.
„Willst Du Deinem Vater nicht nochmals eine Chance geben?“ ist die fatale Frage der Verfahrensbeiständin an das 7-jährige Kind, mit der die Schuldhaftigkeit des Vaters festgestellt werden soll und das Kind zur entscheidenden Instanz über das Schicksal seines Vaters gemacht wird – Parentifizierung hoch x.
Die durch die Mütterlobby 2009 ins FamFG eingeführte verpflichtende familiengerichtliche Kindesanhörung vor einem Beschluss war ein fataler Irrweg der Legislative mit katastrophalen Folgen. Seither wird zunehmend das Kind nicht nur „gehört“, sondern es wird als bequemer Entscheider missbraucht. Es ist durchaus verständlich, wenn die Professionen sich gerne schad- und schuldlos halten und ihre eigene Denkfähigkeit und Verantwortlichkeit mit dem Mantel an der Garderobe des Familiengerichts abgeben, um alles individualisieren zu können und die „Schuld“ am Desaster entweder dem Verlierer im Residenzmodell oder dem Kind anlasten zu können – wobei das Kind eine ideale Lösung darstellt, weil es nicht verantwortlich gemacht werden kann. Es kann keine Schuld tragen, womit alles mit dem Kindeswohl geadelt und wertfrei entschieden zu sein erscheint.
Um meine Argumentationsführung griffiger zu gestalten, möchte ich den Ablauf einer Verhandlung schildern, in der ich kürzlich als Beistand nach §12 FamFG mitwirken konnte:
Die Eltern sind seit 4 Jahren getrennt, der Vater zahlt jeden Monat 1200 Euro Unterhalt für die beiden 15 und 17 Jahre alten Söhne, die er aber seit der Trennung vor 4 Jahren nicht mehr gesehen hat. Und er zahlt diese Summe immer noch, obwohl er sie vom Ersparten abzweigen muss, weil sein Geschäft seit dem Start von Corona nur noch das Existenzminimum für ihn selbst abwirft. Er meint, dafür, dass er immer noch für seine Kinder arbeitender Vater (mit Sorgerecht!) ist, müsste er zumindest die wichtigsten Informationen zu seinen Söhnen erhalten. Das ist auch durch §1686 BGB gesetzlich geregelt. Weil die Mutter sich mit Informationen aber sehr zurück hält und dies mit dem Wunsch der beiden Jungs begründet, stellte der Vater einen Antrag nach §1686.
Dass die Richterin mich als Beistand des anwaltlich nicht vertretenen Vaters zuließ, was von der Fachanwältin für Familienrecht als Vertreterin der Mutter kritisiert wurde, schuf die passende Einstimmung für die Verhandlung.
Gleich zu Beginn setzte die Fachanwältin einen starken Akzent: Sie hielt das ganze Verfahren für „rechtsmissbräuchlich“, weil die Kinder es ablehnen, den Vater zu informieren. Ich entgegnete, dass ich es für ein ethisch-moralisch fatales erzieherisches Prinzip halte, den Jungs zu vermitteln, dass es zwar absolut in Ordnung wäre, jeden Monat 1200 Euro des dafür arbeitenden Vaters zu verbrauchen, im Gegenzug aber Macht und Kontrolle gerade in einem emotional extrem stark besetzten Bereich über ihn auszuüben, indem sie diesen Vater von allen Informationen über sie abschneiden.
Die Fachanwältin hielt das Verfahren trotzdem für „rechtsmissbräuchlich“ und referierte über die Notwendigkeit, diese Kinder ernst zu nehmen und auf sie zu hören. Ich entgegnete mit dem Einwand, dass das BGB für solche Fälle von der wechselseitigen Pflicht zu Beistand und Rücksicht für Eltern und Kinder schreibt. Das war für die Fachanwältin für Familienrecht völlig neu. Dazu reichten ihre zwei Staatsexamen nicht aus. Es passte auch nicht in ihr Denkschema. Da sie nicht glauben konnte, was nicht in ihr Denkschema passte, wollte sie den Paragrafen genannt haben – was von der Richterin geleistet wurde. Diese ermittelte sehr schnell den §1618a BGB und las vor:
„Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.“
Klar und schnörkellos. Einsichtig. Ohne weitere Erläuterungen oder Ausgrenzungen.
Nach dieser Fortbildung für die Fachanwältin drehte diese erst richtig auf. Die Kinder müssten erspüren, was sich für sie „gut anfühlt“. Das müsste dann von den Erwachsenen garantiert werden, damit diese Kinder das Vertrauen in die Erwachsenen nicht verlieren.
Und weil sie ja nur Jura und keine Sozialpädagogik studiert hatte, konnte sie auch nicht zwischen Vorschulkindern und Spätpubertierenden unterscheiden.
Ich überlege mir, ob ein Vater vielleicht auch das Recht haben könnte, in sich hineinzuhören, was sich für ihn „gut anfühlt“ – und ob er auch das Recht hat, dies umgesetzt zu sehen, um sein Vertrauen in den Rechtsstaat nicht völlig zu verlieren. Vielleicht wäre dann angemessen, seine derzeitige berufliche und gesundheitliche Krise ernst zu nehmen, eine ausgiebige Reha-Maßnahme zu starten, sich wegen eines PTBS arbeitsunfähig schreiben zu lassen und das, was er vererben könnte, selbst aufzubrauchen. Das wäre dann sein definitiver erzieherischer Akt. Er könnte als Einziger dafür sorgen, dass seine Söhne verstehen lernen, was das eigene Verhalten an Konsequenzen haben kann.
Ich bin gespannt auf den Beschluss in dieser Sache, mit dem ich gerne zum OLG gehen würde, weil ich in diesem Punkt einen der Schwachpunkte unseres gesamten Systems von Trennungsintervention erkenne. In diesem Fall wäre dann nicht der einzige Zweck, eine bessere Lösung zu erhalten, sondern im wohl zu erwartenden Fall die weitere Bestätigung der defizitären Aufstellung unseres Systems.
- Der Missbrauch des Kindes als Entscheider
Das oben skizzierte Beispiel gilt auch für diese typische Funktionseigenart unseres Systems von familialer Intervention.
Ich kenne Erwachsene, die auch im Alter von 30 Jahren nicht in der Lage sind, tatsächlich die Verantwortung für das zu tragen, was sie auslösen, weil ihnen einfach das Wissen und der Überblick fehlt, um sachgerecht entscheiden zu können. Der Bauch ist dabei nicht immer der korrekte Maßstab.
Ich habe in der obigen Verhandlung auch angesprochen, dass in 10 Jahren eventuell der erste dieser beiden Jungs hier in diesem Raum sitzen könnte, weil er sein Kind und seine Mutter ihr Enkelkind nicht mehr sehen können. Wir stellen immer wieder fest, wie teuflisch präzise der transgenerationale Risikotransfer in solchen Trennungsszenarien zum Tragen kommt.
Die impulsive Gegenwehr von Mutter, Gegenanwältin und dem Vertreter des Jugendamtes (der was von „Transgender“ verstanden haben wollte…) war so groß wie deren Unwillen, einen solchen Gedanken überhaupt zulassen zu können.
Obwohl selbstverständlich ist, dass Kinder die Folgen ihrer Entscheidungen nie tragen können und obwohl klar sein müsste, dass die Last, die man ihnen für den Fall aufbürdet, dass sie einmal durch schicksalhafte Wendungen in ihrem Leben begreifen müssen, was sie da entschieden haben und wie sich dies auswirken musste, scheuen sich die Professionen nicht, Kindern diese Last für das gesamte künftige Leben aufzunötigen. Sie machen Kinder zur quasi feudalen Entscheidungsinstanz über das Schicksal der gesamten Familie, mit oft über Generationen weiterwirkenden Konsequenzen (2Mose34,7). Dabei vergessen opportune Professionen ihre Aufgabe und ihre Verantwortung, weil das defizitäre System ihnen einen bequemen Umweg pflastert, über den sie ihre Verpflichtung ignorieren können.
Im Hintergrund steht der systemimmanente Zwang, das Residenzmodell über die Kürung eines Siegers und eines Verlierers als gültig zu erhalten. Diese Entscheidung haben hauptsächlich Politikerinnen getroffen, die auch verantwortlich sind für Entscheidungsmaxime wie den Satz: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.“ Die Männer in der SPD haben die umfassende Wirkung dieses Satzes in ihrem Grundsatzprogramm noch immer nicht begriffen und werden das auch erst begreifen, wenn die SPD unter 5% fällt und genug Zeit hat, darüber nachzudenken, wie ihre Bedeutungslosigkeit zustande gekommen sein könnte. In Regierungsverantwortung bleibt dafür keine Zeit – und es fehlt auch die Notwendigkeit.