Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, die mich hassen;
2. Mose 20
Bei der letzten Kundgebung des VAfK Karlsruhe am 10.12.2013 zum Tag der Menschenrechte sprach ich zum Problem der Transgenerationalen Effektivität der Abläufe um Trennung und Scheidung mit Kindern.
Meine Rede war im Web zugänglich. Es ist wohl nicht nur Zufall, dass vier Monate danach am 24.04.2014 die ZEIT titelte: „Ist Scheidung erblich?“
Mein Begriff der „Transgenerationalen Effektivität“ wurde dort mit dem Begriff „Transgenerationaler Risikotransfer“ präzisiert.
Im Spiegel vom 21.11.2018 wurde über eine neue Studie berichtet:
Eine neuen Studie … legt einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der eigenen Lebenspartner und denen der Mutter nahe. So gebe die Mutter wichtige Persönlichkeitsmerkmale an ihre Kinder weiter, die es wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher machen, dass sie in ihrem Leben stabile und lang andauernde Beziehungen führen, schreiben die Forscher.
„Wir haben festgestellt, dass Mütter über bestimmte Charaktereigenschaften und Verhaltensmuster verfügen, die darüber entscheiden, wie attraktiv sie für Partner sind“, sagt Claire Kamp Dush, Leitautorin der Studie und Dozentin für Humanwissenschaften und Soziologie an der Ohio State University in Columbus. „Kinder lernen und verinnerlichen diese und können sie in ihr eigenes Handeln in Beziehungen integrieren.“ Dazu zählten etwa die Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen oder Probleme zu lösen.
„Unsere Untersuchungen zeigten allerdings, dass Mütter offenbar so etwas wie Beziehungsfähigkeiten und -fertigkeiten an die Kinder weitergeben“ sagt Kamp Dush. Wenn schon die Mutter zu häufigem Partnerwechsel tendierte, würden die Kinder die Verhaltensmuster, die mit dazu geführt haben, im Laufe der Zeit erlernen und daher mit größerer Wahrscheinlichkeit selbst auf ähnliche Art Beziehungen führen.
Das alles sind Hinweise auf Zusammenhänge, die Beratende bei der Arbeit mit von Trennung betroffenen Eltern immer wieder feststellen. Dabei gibt es immer wieder auch verblüffende Spitzen, die zunächst unglaublich anmuten.
Ich habe einen Vater in der Beratung, der mit seiner jetzt endgültig von ihm geschiedenen Frau drei Kleinkinder hat und mit der er zwei Mal verheiratet war. Und er erzählte mir, dass die Eltern der Mutter seiner Kinder ebenfalls zwei Mal miteinander verheiratet waren. Diese Mutter kopierte also die Beziehungsstrukturen ihrer Mutter.
Es muss also nicht verwundern, wenn Vaterlosigkeit über die Töchter vererbt wird. Als Verfahrensbeistand lernte ich schon ein Hausanwesen kennen, in dem zwei Generationen von „alleinerziehenden“ Trennungsmüttern zusammenleben, von denen die beiden getrennt lebenden Töchter wieder Töchter haben, die zum selben Beziehungsmuster erzogen werden. Der einzige Mann, der in diesem Hausanwesen noch geduldet ist, ist der Vater aus der Urgroßelterngeneration. Warum? Ihm gehört noch das Ganze. Vier Generationen, von denen die zweitälteste als Oma ihre Beziehungsstruktur an ihre Töchter weitergab, die im Hinterhaus wohnen und ihre Trennungsgeschichte an ihre kleinen Töchter weitergeben.
Und dies ist kein Einzelfall. Es gibt in meiner Beratungsrealität viele solcher „Frauenhäuser“, die aus mehr als einer Generation Trennungsmüttern bestehen.
Als Mann ist es sinnvoll, solche Abläufe zu erkennen und eventuell in die Partnerwahl einzubeziehen, um „Auswahlverschulden“ zu vermeiden. Ich bin mir allerdings bewusst, dass solche Hinweise pädagogischer Natur überwiegend nutzlos sind, weil Männer erst dann erkennen, welche Dimensionen das dramatische Geschehen hat, wenn es schon zu spät ist. Es dient also eher der Reflektion über die Strukturen des eigenen vergangenen Lebensschicksals.
Und es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu:
Immer wieder habe ich weinende junge Väter vor mir sitzen, die beklagen, dass sie als Vater von der Mutter ihres Kindes entsorgt wurden. Bei der Nachfrage muss ich feststellen, dass sie selbst bei einer „alleinerziehenden“ Mutter aufgewachsen sind, dass sie bis heute ihren Vater nicht mehr gesehen haben und auch davon überzeugt sind, dass er ein Arsch ist. Ich muss sie dann darüber aufklären, dass ihr eigenes Schicksal etwas mit ihrem eigenen Verhältnis zu ihrem Vater zu tun hat und dass sie sich erst um diesen kümmern müssen, um ihr eigenes Schicksal begreifen zu können. Ihre Erziehung durch eine Trennungsmutter, die den Vater aus der Beziehung zum Kind ausgeschlossen hat, sorgte mit dafür, dass sie sich ausgerechnet eine Frau als Mutter ihres Kindes aussuchten, die mit ihnen dasselbe Schicksal reproduzierte.
Insgesamt muss man feststellen, dass junge Männer massenhaft verdammt blauäugig das Wagnis Vaterschaft eingehen und in großem Stil verarscht und abgezockt werden. Sie begreifen viel zu spät, dass die Politik unter einer blendenden Oberfläche Strukturen aufgebaut hat, die der Mutter ihres Kindes die Bestimmungsgewalt über das Kind sichert und sie als entsorgte Väter zu den Zahlsklaven dieses pervertierten Systems macht.
Das Problem ist, dass in der Schule diese Widerwärtigkeiten des Systems nicht vermittelt werden können, weil Schulen eben zu den immanenten Strukturen dieses Systems gehören und es deshalb nicht bloßstellen. Es würde auch nichts nützen, weil Jungs in ihrer Grandiosität meinen, dass ihnen selbst so etwas nie geschehen könnte. Dabei rennen sie wie Lemminge dem Abgrund zu und begreifen erst beim Fallen, was Sache ist.
Immer wieder begegne ich in meiner Beratungsarbeit verblüffenden Fällen von Schicksalskopien über die Generationen hinweg. Es ist nicht üblich festzustellen, dass zwei Kinder, die beim Vater und dessen Eltern leben, im Alter von 13 und 15 ihren Vater durch einen plötzlichen Tod verloren haben und die Mutter erzählt mir, dass ihr Vater starb, als sie 9 Jahre alt war.
Oder es lässt aufhorchen, wenn ich erfahre, dass ein Vater seine Kinder verlor, als diese im selben Alter waren, in dem er selbst seinen Vater verlor.
Was angesichts dieser Abläufe bleibt, ist die politische Arbeit. Die Politik muss dafür sensibilisiert werden, dass Männer ebenfalls Förderbedarfe haben, und dass die Weiterentwicklung der Gesellschaft nicht nur über ungebremste Frauenförderung funktioniert.
Solange die Politik Väter zum Missbrauch frei gibt und gleichzeitig Hilfen verweigert, ist sie im Kern brutal und menschenrechtswidrig.
Und natürlich:
Das „Kindeswohl“ muss aus seiner pervertierten Funktion als Alibi für beliebigen Egoismus befreit werden. Ich denke aber, dass dieser Begriff inzwischen so sehr belastet ist, dass er ersetzt werden muss. „Best interest of the child“ ist die bis heute beste Lösung dafür.
Nachtrag vom 28.08.2019
Ein Vater schreibt mir:
„Seit sechs Jahren schreibe ich meiner Tochter Postkarten, Briefe und Päckchen/Geschenke per Post. Ich bekomme keine einzige Antwort. Nur einmal eine Nachricht von der Mutter wegen Umzug, nachdem mein Geburtstagsgeschenk als unzustellbar zurückkam. Meine Tochter hat im Jahr 2014 im Alter von 8 Jahren den Kontakt nach sechs Jahren begleiteten Umgangs abgebrochen. Zwei Jahre später hat sie mich beim Tag der offenen Tür von der Schule verweisen lassen.
Meine Tochter ist nun 14 Jahre alt. Sie hat einen schwerstpflegebedürftigen Halbbruder, eine depressive Halbschwester, und eine wohl borderlinegestörte Mutter. Meine Tochter nennt den vierten Mann der Mutter seit 2010 Papa. Sie trägt den Familiennamen des ersten Ehemanns der Mutter. Die Mutter hat 2012 den Familiennamen des zweiten Ehemannes angenommen. Die Mutter wurde adoptiert und kennt ihre Eltern nicht.“
Reaktion einer Leserin
Ich arbeite nicht nur mit entfremdeten Eltern, sondern teilweise auch mit mittlerweile erwachsenen entfremdeten Kindern. Ich kann nur bestätigen, dass viele dieser Kinder (bzw. alle, mit denen ich arbeite) als Erwachsene das Muster wiederholen. Und zwar nicht nur auf der Beziehungsebene, sondern auch auf vielen weiteren Ebenen, zum Beispiel im Berufsleben oder was die gesamte Lebensgestaltung anbelangt. Ablehnen und abgelehnt werden. Ein ewiger Kreis, der nur mit Einsicht und viel schmerzhafter Arbeit zu durchbrechen ist.
11.11.2023
Heute erzählte mir ein frisch getrennter Vater, dass die Mutter seines Kindes ihren Vater als Kleinkind verlor und vaterlos aufwuchs. Jetzt hat sie den Vater des Kindes entsorgt. Das Kind ist auf den Monat genau im selben Alter, in dem sie war, als sie ihren Vater verloren hatte.
Solche „Zufälle“ sind in meiner Arbeit so häufig, dass ich erkennen musste, dass dies eben keine Zufälle sind, sondern dass psychologische Strukturen dafür sorgen, dass der transgenerationale Risikotransfer immer wieder für verwirrende Duplizitäten sorgt.