Die Veröffentlichung von Astrid von Friesen ist es wert, wieder ins Gedächtnis gerufen zu werden. Zwischen 2004 und 2011 war von ihr immer wieder zu hören – auch im SWR.
Ich möchte die von ihr publizierte Anklage eines 17-Jährigen in Erinnerung rufen.
Dieser Junge mit Trennungserfahrung ist wohl nicht in der Gefahr, im transgenerationalen Risikotransfer dieselbe Geschichte in die nächste Generation zu tragen. Aber vor dem Hintergrund welcher Konsequenz? Nie Kinder!
Wo ist die Lösung, die einerseits die positive Orientierung einer Entscheidung für Kinder und gleichzeitig das Bewusstsein um das für alle Beteiligten angemessene Lebensmodell möglich macht?
Astrid von Friesen
„Trennungskinder klagen an! – Die Geschichte eines 17jährigen Jungen“
Wir klagen euch Erwachsene an! Wo ward ihr, als unsere Eltern uns Kinder zerrissen haben in ihrem Wahnsinns-Scheidungs-Krieg, der 12 Jahre dauerte und wirklich ein Krieg war? Wo waren die Richter und Sozialarbeiter, wo die Gutachter, die uns zwar ein Dutzend Mal befragt haben, aber nie etwas änderten? Mein Vater hatte immer das Sorgerecht!
Wo waren die Patentanten und -onkel, die bei unserer Taufe versprochen hatten, sich um uns zu kümmern? Die unserer Mutter nicht abverlangten, dass wir nur alle 14 Tage ein kurzes Wochenende unseren Vater sehen durften. Ohne Stress wollten wir zu ihm, ohne ihre Migräne als Bestrafung, ohne ihren verkniffenen Mund, ohne tosendes Schweigen, ohne Drohungen, die Katze zu töten, wenn wir das nächste Mal zum Vater wollten…. Ohne die brutale Weigerung unserer Mutter, die paar wenigen Tage die Kaninchen zu füttern, weswegen meiner kleinen Schwester fast das Herz brach…. Vater oder Kaninchen? Sie war ja erst sieben und liebte ihre Tiere über alles. Und liebte unseren Vater ebenso.
Wo waren die angeblich so kinderlieben Krippenerzieherinnen? Wo die Kindergärtnerinnen? Warum waren sie nicht für uns Kinder da, haben für uns Partei ergriffen, für das Recht alle Verwandten sehen zu dürfen? Haben sich lieber rausgehalten. Feige waren sie, sonst nichts.
Und die Lehrer? Die müssen doch wissen, dass geschiedene Eltern keine Post weitergeben, passiert doch bei 10 Kindern in meiner Klasse. Sie haben niemals Vater mitgeteilt, dass wir ein Schulfest feierten und ich eine tolle Rolle bei „Peterchens Mondfahrt“ spielte oder meine Schwester bei der Ballettaufführung tanzte, so dass Vater uns hätte sehen können. Er wäre so stolz gewesen und hätte es – wie immer – uns auch gesagt.
Auch die Pfarrer haben nicht allen mitgeteilt, dass ich konfirmiert wurde! Ich durfte es nicht sagen, weil meine Mutter mein Versprechen erpresst hatte, niemanden zu unterrichten. Deswegen wussten es auch meine väterlichen Großeltern nicht, auch meine Cousins kamen nicht, die Hälfte meiner Familie durfte nicht dabei sein. Ich habe mich geschämt, weil meine Familie so klein war. Wie damals im Kalten Krieg, als die DDR-Verwandtschaft immer nicht kommen konnte. Ich fühlte mich wie amputiert. Fast alle Kinder hatten vier Großeltern dabei, manche noch mehr, wenn die geschieden und wiederverheiratet waren. Ich hatte nur zwei. Und die machten auch noch blöde Bemerkungen. Obwohl sie die anderen 12 Jahre nicht gesehen hatten. Und die anderen konnten sich gar nicht wehren, weil sie absolut nichts wussten. Ich hasse diese Konkurrenz!
Warum haben die Ärzte nicht meinen Vater unterrichtet, als ich sechs Wochen im Krankenhaus lag und mich nach seinem Besuch sehnte. Meine Mutter manipulierte alle und behauptete einfach, dass sie allein das Sorgerecht hätte. Niemand kam auf die Idee, dass sie lügt. Erwachsene können ganz schön dumm sein. Den Ärzten und allen anderen hat sie direkt ins Gesicht gelogen.
Oft habe ich mich gefragt, wie viele Eltern das wohl tun? Denn fast ein Drittel der Kinder in meiner Klasse sind geschieden.
Warum habt ihr uns so alleine gelassen mit ihr, uns eine Hälfte des Lebens, der Herkunft, meiner Familie genommen? Viele Menschen suchen nach ihren Wurzeln und geben dafür viel Geld aus. Ich wurde von meinen Vater-Wurzeln krass abgeschnitten. Meine Ohnmacht war quälend, fast jeden Tag, nicht mit meinem Vater telefonieren zu dürfen, keine Päckchen von ihm zu erhalten. Meine kleine Schwester und ich durften oft nur vier Tage im Jahr zu ihm und nicht die Hälfte der Sommerferien, jedes zweite Weihnachten, auch mal Ostern und nie in den Herbstferien, nie mit ihm verreisen. Meine Mutter gab uns nie die Kinderausweise mit. Obwohl die Richter jedes Jahr die Ferien gerecht festsetzten; aber sie hielt sich einfach nicht daran. Mit den Eltern eines Freundes durfte ich mit 13 Jahren nach Holland, obwohl meine Mutter die Leute kaum kannte. Aber ich durfte nie mit meinem Vater verreisen.
Nie durfte er mir zum Geburtstag gratulieren, nie konnte er mir Skifahren beibringen, obwohl er darin ein Ass sein soll. Nie habe ich das Haus meiner Großeltern gesehen, als läge es im Himalaja und nicht 300 km im Norden. Jetzt sind sie tot und ich kann mich an sie nicht erinnern. Wir konnten nie Pläne schmieden. Meine Mutter hat ihn von der Haustür nach 400 Kilometer Fahrt wieder weg geschickt und behauptet, dass wir nicht da seien. Einmal habe ich vom Fenster aus gesehen, wie er im Auto weinte und die lange Fahrt wieder zurück fahren musste, ohne uns. Ich weinte auch.
Aber ich habe mich nicht getraut anzurufen, weil unsere Mutter die Telefonkontakte kontrollierte, alles kontrollierte. Und sonst drei Tage gemeckert oder, schlimmer noch, eisern geschwiegen hätte. Das habe ich nicht ausgehalten. Und meine Schwester bekam dann immer Durchfall und Bauchweh. Das hat Mama dann wieder auf den Vater geschoben. Wir konnten ihr aber nicht sagen, dass es wegen ihr war. Oder wegen der Sehnsucht. Meine kleine Schwester weinte dann nachts oft. Ich habe sie versucht zu trösten. Aber eigentlich war sie nicht zu trösten.
Später, in der Pubertät, hat meine Schwester unseren Vater gehasst. Brutal gehasst. Und wenn ich dann sagte: Aber er durfte uns doch nicht sehen, er hat sich doch so bemüht, hat sie behauptet, dass das nicht sein könnte. Er hätte zum Gericht gehen müssen, ein Richter hätte ihm bestimmt geholfen. Ich antwortete: Aber er war doch oft beim Gericht, ich hätte doch dort so oft aussagen müssen, jedes Jahr wieder neu, das hat sie mir einfach nicht geglaubt. Obwohl sie es selbst wusste. Denn wenn ich vom Gericht zurückkam, war ich immer gestresst und meine Mutter hat tagelang Terror gemacht. Vorher immer netten Terror, indem sie uns ständig damit belegte, was wir Gutes über sie sagen sollten. Hinterher bösen Terror. Sie war nicht von ihrem Hass weg zu bringen, obwohl sie unseren Vater so über alles geliebt hat und er nie was Böses getan hat. Weder ihr noch uns. Und sie ihn wegen eines anderen Mannes verlassen hat, der aber doof und bald weg war.
Ich glaube, meine Schwester hat ihn dann irgendwann gehasst, weil sie ihn nicht lieben durfte. Aber der Hass ging in die falsche Richtung. Denn wir konnten doch unsere Mutter nicht hassen, sonst hätte es zu Hause eine Explosion gegeben. Ich glaube, sie hat mehr die Situation gehasst. Aber weil man nicht eine abstrakte Sache hassen kann, hat sie das auf unseren Vater geschoben. Der konnte aber nichts dafür. Er war verzweifelt und hat gekämpft wie ein Löwe für uns.
Und dann die Kindertherapeuten und alle anderen. Was haben sie gemacht? Nichts! Wie kann man ein Kind therapieren, welches darunter leidet, dass es seinen Vater nicht sehen darf? Alles Quatsch. Sie hätten es durchsetzen sollen, und ich wurde zu dreien von ihnen geschleppt. Sie hätten meine Mutter therapieren sollen, damit sie es uns erlaubt, ohne Terror und ohne zu sagen, dass alle Männer Schweine sind. Ich wohl auch, was? Was soll ich schon werden, außer einem „Männerschwein“. Ach ja, ich kann noch ein „Versager“ und ein „emotionaler Krüppel“. Super!
Ich klage alle Erwachsenen an, die nicht hin gucken, denen Kinder egal sind. Wir Kinder sollen uns immer entscheiden: Wen liebst du mehr, mich oder Papa? Scheißfrage! Anstiftung zum Verrat! Das ist das Schlimmste, habe ich mal in einem Buch über Indianer gelesen.
Warum seid ihr Erwachsenen denn solche emotionalen Chaoten, dass ihr nichts auf die Reihe bekommt? Keine Beziehung und kein Ende einer Beziehung. Ich dachte, ihr hättet euch mal geliebt! Warum dann der Hass auf unsere Kosten? Steht doch in jedem blöden Ratgeber, dass Eltern immer Eltern bleiben sollen. aber ihr alle seid unfähig seid, emotional hysterisch und macht uns lieber kaputt. Ihr behandelt uns wie emotionale Sklaven, nur dazu da, damit ihr euch besser fühlt, als Lebenssinn, oder so. Auch Mist für uns, totaler Mist.
Ich klage alle Erwachsenen an: Was seid ihr für ein mieses Vorbild? Das tendiert Richtung Null.
Schämt ihr euch nicht?
– Warum gibt es keine Kontrolle, die verhindert, dass Eltern ihre Kinder kaputt machen?
– Warum könnt ihr nicht vernünftig sein, euch Hilfe holen, wenn euch was quält?
– Warum könnt ihr Lebenskrisen nicht so bewältigen, dass ihr anschließend stolz darauf seid und nicht reihenweise Elternteile, Großeltern und Kinder halbtot im Gelände herum liegen?
– Wisst ihr nicht, dass ihr uns Kindern dieses Muster weiter „vererbt“?
– Warum glaubt ihr, dass ihr unsere Liebe verliert, wenn wir unseren Vater und die Großeltern lieben dürfen? Ihr mögt doch auch eure beiden Eltern und alle Verwandten und ein Dutzend Freundinnen! Eure Scheißangst macht uns kaputt, voll neurotisch ist die.
Warum seid ihr so aggressiv, indem ihr so vieles verbietet, verunmöglicht, manipuliert? Ihr habt immer gelogen bezogen auf das Sorgerecht. Immer gelogen, uns belogen, alle belogen, Wir wuchsen in einer Lügen-Welt auf. Ich war nie krank, wenn Papa kam. Auch gelogen. Und wenn ich krank gewesen wäre, hätte er mich gepflegt, ganz lieb und mir vorgelesen. Und Quatsch gemacht. Tolles Vorbild mit all den Lügen. Super moralisch.
Warum gibt es keine Strafen für das Zerreißen von Kindern?
Astrid von Friesen ist Erziehungswissenschaftlerin, Diplom-Pädagogin, Therapeutin und Publizistin.