Zwischen dem Artikel in der Brigitte 19/2012 – „Jetzt oder nie! Ein Kind ohne Mann kriegen“ – und dem Artikel in Annabelle.ch vom 22.03.2024 – „Solomütter: 3 Frauen über das Kinderbekommen ohne Mann“, – liegen fast 12 Jahre.
Was hat sich in diesen 12 Jahren geändert?
Während damals die Samenzellen tiefgekühlt aus den USA kamen und Edith Schwab, die damalige Vorsitzende des VAMV, zur Erklärung für das Kind, wer dessen Vater sei, noch empfahl: „Na, am besten, Sie lassen den Vater einfach sterben“, kommt heute der Samen von der nach eigenen Angaben weltweit größten Samenbank in Dänemark und der Artikel aus der Schweiz empfiehlt größtmögliche Offenheit dem Kind gegenüber von Anfang an. Bis zur Schulreife sollte seine Genese für das Kind geklärt sein: „Kein Geheimnis vor dem Kind.“
Und auch der VAMV hat sich verändert: Er hat in Berlin ein erstes Vernetzungstreffen mit Solomüttern organisiert und damit Organisationsstrukturen geschaffen – allein für „Mothers by choise“.
Warum kommt dieser Artikel aus der Schweiz?
Dort sind künstliche Befruchtungen für Frauen ohne Mann rechtlich (noch) nicht möglich, weshalb Frauen mit Kinderwunsch ohne Mann nach Deutschland kommen, um sich hier künstlich befruchten zu lassen.
Natürlich sollen auch in der Schweiz „Mothers by choice“ aus der Grauzone herausgeholt werden.
2010 galt in vielen deutschen Bundesländern noch die von der Bundesärztekammer (BÄK) in Deutschland veröffentlichte «Musterrichtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion». In dieser Richtlinie wurden Singlefrauen explizit von Fertilitätsbehandlungen ausgeschlossen. Da diese Richtlinie aber keine gesetzliche Wirkung entfalten konnte, übernahmen damals Berlin und die Bundesländer Brandenburg und Bayern diese Handlungsempfehlung nicht und Fruchtbarkeitsbehandlungen bei Singlefrauen konnten ohne Angst vor Strafen durchgeführt werden. In dieser Zeit reisten Frauen aus ganz Deutschland nach Berlin, der deutschen Hauptstadt für Single-Mütter.
Noch mehr Sicherheit bekamen die Geschäftskonzepte für Reproduktionsmedizin in Deutschland dann durch das Samenspenderegistergesetz, welches die Samenspende für Singlefrauen im Jahr 2018 aus einer rechtlichen Grauzone herausholte. Das bundesweite Gesetz legt fest, dass der Spender kein rechtlicher Vater werden kann.
Damit wird die Frage wichtig:
Braucht ein Kind einen Vater?
Im Artikel mündet diese Frage schon im Ansatz in das Problem der Belastung für die Mutter ohne eine Unterstützung durch den Partner. Langzeitstudien über das geplante Aufwachsen ohne Vater gibt es nicht. Die Studien, die es gibt, werden dahingehend interpretiert, dass es keinen Unterschied zwischen Kindern aus einer heterosexuell normierten Familie und allen anderen Regenbogen-Konstellationen geben würde.
Also werden aufkommende Bedenken im Ansatz vom Tisch gewischt und es bleibt allein das Problem: Wie kann ich die Belastung allein überhaupt stemmen?
Die Antwort: „Selbst ist die Frau!“
Und: „Verrückt, dass ich jetzt Mutter bin!“
Optionen der Reproduktionsmedizin
Die Befruchtung der eigenen Eizellen durch den Samen eines (weitgehend) anonymen Spenders erfolgt entweder durch Insemination (Einbringen des Samens in die Gebärmutter) oder durch In Vitro Fertilisation (IVF), der Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers, was eine sicherere Methode darstellt und oft dadurch ergebnissicherer gestaltet wird, dass gleich zwei befruchtete Eizellen in die Gebärmutter eingesetzt werden. Deshalb gibt es inzwischen auch mehr Zwillingsgeburten von Frauen um die 40.
Damit ist aber auch die Möglichkeit gegeben, eine weitere künstliche Variante der menschlichen Reproduktion zu verwirklichen: Die Eizell-Spende.
Wenn eine Frau keine befruchtungsfähigen Eizellen produzieren kann, kann sie sich Eizellen kaufen, diese durch IVF befruchten und sich einsetzen lassen.
Damit wird sie zur Leihmutter ihres eigenen Kindes, denn dieses von ihr geborene Kind trägt nicht ihre genetischen Merkmale.
Das hat natürlich entsprechende Folgen:
Wenn ein auf diese Weise erzeugtes Mädchen im Alter von 10 Jahren wegen ihrem auffälligen Sexualverhalten an ihrer Schule zur bisher nicht dagewesenen Sensation wird, hat sie dies weder von ihrer akademischen Mutter ererbt noch im Elternhaus sozial „erlernt“. Es stammt – quasi als Beipack – von der anonymen spanischen Eizellspenderin.
Diese Leihmutter des eigenen (Fremd-)Kindes wird durch inzwischen völlig veraltete deutsche Gesetze geschützt, die allein die Frau, die das Kind geboren hat, zur unumstößlichen rechtlichen Mutter machen. Damit ist in Deutschland jede Leihmutter die eigentliche rechtliche Mutter des von ihr geborenen Kindes. Leihmutterschafts-Geschäfte müssen also außerhalb von Deutschland erfolgen, um das Kind nicht – legal – an die Leihmutter zu verlieren.
Berechtigung
Ist dies alles verantwortbar?
Fragen wir zunächst diejenigen, die daran verdienen:
„Ich finde, jeder Mensch hat das Recht, sein Leben so zu gestalten, wie er möchte“ sagt der Arzt in Berlin, der schon am längsten davon profitiert.
Damit wird deutlich, dass moderne Reproduktion Kinder nicht nur zum Objekt der subjektiven Lebensplanung Erwachsener macht, sondern auch zur Ware, für deren Erwerb entsprechende Fortschritte der Reproduktionsmedizin erkauft werden können.
Dann wird das Bild Realität, das im schweizer Artikel geschildert wird:
Zwei deutsche „Mothers by choice“ sitzen am Abend bei einer Flasche Rotwein in Berlin mit einem Katalog auf dem Sofa und blättern in den Bildern von Babys und den Profilen von Spendern. Als die Flasche leer ist, stehen die Spender fest und der Einkauf kann starten.
Deutsche Männerfeindlichkeit
Über allem steht in Deutschland der Satz aus dem Grundsatzprogramm der SPD: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.“
Kein Wunder, dass der VAMV sich nur um den Kinderwunsch von „Mothers by choice“ kümmert, obwohl das letzte V im Namen für (alleinerziehende) Väter steht. Wann nimmt der VAMV sich endlich selbst ernst und kümmert sich auch um den Kinderwunsch von „Fathers by choise“?
Warum gibt es nur ein Samenspenderegister und kein Eispenderegister und kein Leihmutterregister?
Jeder Mensch hat doch das Recht auf die Kenntnis über seine Herkunft. Warum wird dies in Deutschland von der Befindlichkeit von Müttern abhängig gemacht? Warum also Mutterwohl vor Kindeswohl und Recht der Mutter vor dem Recht des Kindes?
Und wo bleibt in Deutschland das Recht des Vaters?
Wie war das? Die Bettgenossin der Mutter erhält automatisch die Mitsorgeberechtigung zu einem in diese Beziehung geborenen Kind und der Mann, dessen genetische Eigenschaften das Kind (mit-)bestimmen, muss immer noch durch Einsatz von selbst bezahlten Anträgen versuchen, vielleicht an sein Recht zu kommen.
Das ist neben vielen anderen unsäglichen Widerwärtigkeiten ein Merkmal eines politischen Systems, das schon längst in vielen Bereichen den Rechtsstaat verlassen hat.
Projektion
Ich stelle mir als nächsten Schritt in der Reproduktionsmedizin vor, wie zwei „Fathers by choise“ abends bei einer Flasche Rotwein sitzen und im Katalog von Babyfotos und Leihmüttern blättern und, wenn der Wein getrunken ist, gewählt haben und bestellen.
Utopie? Was möglich ist, wird gemacht werden.
Die Frage ist nur, mit welchen ideologischen Leitlinien in Deutschland Wahlfreiheit für Frauen möglichst grenzenlos umgesetzt und für Männer möglichst eng eingegrenzt wird, besonders dann, wenn sie Mütter und Väter sind.
Wir werden das mitverfolgen.