Von Heike Klovert und Christopher Piltz
08.03.2025 • aus DER SPIEGEL 11/2025
Es tut gut, in der unendlichen Reihe der ideologisierten Artikel der letzten Jahre in den Leitmedien zur deutschen Familienrechtspraxis, die sich den Anschein geben, Fachartikel zu sein, stattdessen aber demagogische Fakenews verbreiten, endlich einen Beitrag zu lesen, der sich bewusst jeder ideologischen Zuordnung verweigert und tatsächlich Empathie für die betroffenen Kinder und deren Eltern zeigt.
Im Aufzeigen der Hilflosigkeit, mit der die Professionen dem immer weiter steigenden Verfahrensdruck und der steigenden Intensität der Anforderungen begegnen, liegt auch eine gute Portion Resignation und Ratlosigkeit.
Es gibt jedoch Handlungsansätze:
„Bindungsfürsorge“ statt „Bindungstoleranz“ macht deutlich, dass passives Gewährenlassen dort nicht genügt, wo eigentlich positive Unterstützung gefragt ist. Mein Satz dazu drückt seit 15 Jahren aus, was gemeint ist: „Jedes Elternteil ist mitverantwortlich für die Qualität der Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil.“ Und meine Testfrage dazu lautet: „Haben Sie im Kinderzimmer ein Foto des anderen Elternteils platziert?“
Das Problem ist, dass gerade Richterinnen und Richter Elternteile mit Verfügungsmacht über das Kind zu einer solchen hohen Übernahme von Leistung nicht verpflichten wollen. Sie fürchten sich davor, zuviel erwarten zu wollen und begnügen sich mit „Bindungstoleranz“, die als bloße Worthülse hemmungslos missbraucht wird.
„Hinwirken auf Einvernehmen“, formuliert im §156 FamFG, das zum 01.09.2009 in Kraft trat, und im Artikel genannte Eckpunkte des nicht genannten „Cochemer Weges“ (ausgehend von Ex-Familienrichter Jürgen Rudolph) wie die Formulierung von deeskalativen Anträgen sind weitere Handlungsansätze. Allerdings zeigte sich in der Umsetzung dieser Vorgaben in der Familienrechtspraxis die Tendenz, diese nicht als Paradigmenwechsel verstehen zu wollen, sondern allenfalls als unverbindliche Variante eines methodischen Vorgehens. Die alten Paradigmen wirken weiter. Dabei läuft das Geschäft mit dem elterlichen Streitpotential so gut, dass auf diesem Herd viele Suppen gekocht werden können. Wenn eskalative Anwälte, die ja vom Streit leben, Streit befeuern, begründen sie dies mit ihrer Bindung an die Interessen ihrer Mandanten, was allein dazu führt, dass die Eltern als „hochstrittig“ in Haftung genommen werden.
Einerseits ist das Positive im Artikel die Fokussierung auf den fatalen Output der Entwicklung, der Kinder und Elternteile massiv belastet.
Andererseits überwiegt die Ratlosigkeit der Professionen, die nur mit spärlichen Lösungsansätzen abgemildert wird.
Dabei gibt es logische Leitstrukturen, an Hand derer fundierte Kritik ansetzen könnte:
- Unsere Gesellschaft strebt die Chancengleichheit der Geschlechter an, vor deren Hintergrund jede Person mit Eigenverantwortung ihre Wahlfreiheit in Beruf und Familie umsetzen kann.
- Das Residenzmodell nimmt einem Kind nach einer Trennung einen Elternteil weitgehend und nimmt diesem Elternteil auch weitgehend das Kind. Dabei hätten wir im „Wechselmodell“ die Bestrebung zur Verfügung, dem Kind möglichst beide Elternteile zu erhalten und beiden Eltern auch das Kind. Warum kennt dann unsere Politik nur das Residenzmodell und pflegt die Vorbehalte gegen das Wechselmodell? Dies widerspricht doch allen Bestrebungen zur Chancengleichheit der Geschlechter.
- Wahlfreiheit ist ein wichtiges Ziel aktueller Politik. Allerdings gerade im Familienrecht nur für Frauen. Ohne alle Differenzen aufzählen zu wollen, genügt evtl. nur folgende: Eine Mutter kann sich nach einer Geburt völlig verantwortungslos „aus der Affäre ziehen“ – anonyme Geburt, Babyklappe und weitere Hilfen sind extra dafür installiert. Ein Vater ist dingfest gemacht, sobald er als Vater festzustehen scheint – ohne jede Chance auf Verwirklichung seiner Wahlfreiheit. Gut, zugegeben, das ist ein drastisches Argument. Aber: Mit welcher Begründung werden HEUTE ALLE Frauen vor der Übernahme von Verantwortung bewahrt, während alle Männer (ohne Beachtung des individuellen Falles) zur Haftung verdonnert werden? Ist das einem emanzipatorischen Bild der Geschlechter angemessen?
- Die (nicht gerechtfertigte) Beschuldigung von Gewalt und Sexuellem Missbrauch ist ein vor den Familiengerichten von Müttern gerne und oft genutztes Argument, das im letzteren Fall zu etwa 85% erstunken und erlogen ist. Hinzu kommen etwa 10%, in denen eine Täterschaft zwar wahrscheinlich, aber nicht erwiesen ist. Sowohl eine deutsche Studie (Busse et al 2000) als auch eine kanadische Studie haben den Wert der zu Recht geäußerten Beschuldigungen mit 5 – 7% angegeben. Eine Studie aus Oxford zur Viktimisierung hat denselben Wert bestätigt. Untersuchungen mit betroffenen Vätern, deren Partnerinnen mit Kind (bzw. Kindern) z.B. auch ins Frauenhaus gezogen sind, um ihre Chancen im nachfolgenden familialen Gerichtsverfahren drastisch zu ihren Gunsten zu beeinflussen, erbrachten Werte von fast 40% aller Trennungsmütter, die auf unterschiedliche Weise angekündigt über das Kind Macht, Kontrolle und Gewalt ausüben. (https://vater.franzjoerg.de/statistik-zu-den-faellen-ab-2010-vaeter-a-l/ – https://vater.franzjoerg.de/das-frauenhaus-als-rechtsfreier-raum/)
Ausgerechnet in diesem Setting hat Rot-Grün kurz vor dem Abdanken noch schnell am 27.02.2025 das „Gewalthilfegesetz“ durchgewunken, das nur „Frauen und deren Kinder“ schützen möchte, obwohl im Gesetz davon die Rede ist, dass jedes Gewaltopfer unter dem Schutz des Staates steht. Dieses Gesetz ist eindeutig menschenrechtswidrig, was den Bundespräsidenten nicht davon abgehalten hat, es ebenfalls durchzuwinken. Damit hat der Bundespräsident nach dem Bundesverfassungsgericht als Garant für Menschenrechtswidrigkeit sich selbst, sein Amt und diesen Staat beschmutzt.
- Obwohl nie im Leben, weder im Kindergarten, noch in der Schule, noch danach gelehrt wird, wie Beziehung konstruktiv gelebt werden kann und wie Kinder zu erziehen sind, fällt die gesamte Gesellschaft über das Scheitern her, tritt dies im Fall von Prominenten in allen Boulevardblättern breit, verdient eine fette Kaste von Anwälten und Gutachtern eine Menge Geld und konfrontiert die Eltern in einem strittigen Verfahren als Gegner. Es wird Gegnerschaft und Kampf gepflegt, statt Empathie mit Scheiternden zu haben, die nie gelernt haben, wie Beziehung gelingen kann. Hinzu kommt mit gesteigerten Multiplikationsfaktoren: Die Gescheiterten geben im Transgenerationalen Risikotransfer ihr desolates Konzept an die nächste Generation weiter.
Weitere Anregungen für konstruktive Veränderungen sind hier nachzulesen:
https://vater.franzjoerg.de/zukunftsgerichtet/
https://vater.franzjoerg.de/plaedoyer-fuer-eine-neustrukturierung-der-jugendaemter/