Bezug:
Artikel „Brief ins Leere“ aus „Der Freitag“ vom 04.06.2020
Dem „Freitag“ ist zu danken, Artikel wie diesen als ganzseitige Publikation zu drucken.
Jedoch:
Bei der Lektüre ist der Eiertanz zu erspüren: Was darf gesagt werden? Wie deutlich darf ich werden? Wie ausgewogen muss ich daherkommen, um nicht gleich wieder abgewertet und vom Tisch verwiesen zu werden?
Ich möchte mit meinem „Brief ins Volle“ das offen aussprechen, was nicht geschrieben wurde.
Das Grundproblem ist die Verhaftung aller gesellschaftspolitisch ideologischen Lösungen für Nachtrennungsfamilien in einem anscheinend gott- bzw. naturgegebenen Residenzmodell, das für Kinder nach einer Trennung nur einen verfügungsberechtigten Elternteil sieht und den anderen als „umgangsberechtigt“ und „zahlungspflichtig“ abwertet. Dazu gehört natürlich die steuerrechtliche Behandlung des ersteren in Steuerklasse 3 und des letzteren in Steuerklasse 1, weil für diesen (genuin den Vater) Familie nur als teures Hobby gewertet wird. Diese politisch gewaltsam durchgesetzte Doktrin wurde nie einer Prüfung durch eine Studie unterzogen und wurde auch nie evaluiert. Sie wurde schon immer allen einfach übergestülpt und wird heute noch immer gewaltsam durchgesetzt. Die vehemente Gegenwehr bei der Diskussion um das Wechselmodell ist nichts weiter als die verhärtete Verklammerung in der weiteren politischen Durchsetzung des Residenzmodells. Die Personen in der Politik (meist Frauen), die lautstark deutsche Studien zum Wechselmodell fordern, sind dieselben, die die Naturgegebenheit des Residenzmodells als Selbstverständlichkeit leben und gar nicht auf die Idee kommen, dass sie dieses schon seit Jahrzehnten ohne jede Studie gewaltsam allen überstülpen.
Diese politisch gesetzte Alleinresidenz von Kindern bei nur einem Elternteil – meist der Mutter – wird darüber hinaus sowohl durch politisch umgesetzte als auch von Verbänden gelebte flächendeckend vertretene Frauenförderstrukturen einseitig geschlechtsabhängig fixiert. Es sind nicht die Kritiker des Residenzmodells, die das Thema geschlechtsabhängig verfremden, es ist die Politik, die eben das macht. Im Bundestag ist Familie die Domäne der Rechtsanwältinnen (Fachanwältinnen für Familienrecht), die am Rednerpult die Vorherrschaft der Mutter predigen. Im VAMV steht zwar das letzte V für Väter – alle Konzepte sind aber mütterzentriert. Das A für alleinerziehend steht für das im Residenzmodell verhaftete Grundsatzprogramm, das aber mütterzentriert umgesetzt wird. Daraus entstehen dann Konzepte wie „Einelternfamilie“ oder „Alleinerziehen als Erfolgsmodell“ – und gemeint und politisch hofiert wird dieser Erfolg der Mutter zugedacht. Und es verwundert nicht, wenn aus dieser Perspektive die Vokabel „Wechselmodell“ benutzt wird, die von Anfang an mit der Konnotation „Das arme Kind muss so viel wechseln…“ versehen wurde, obwohl es im sogenannten Wechselmodell weniger Wechsel gibt als im inzwischen familienrechtspraktisch hoffähigen erweiterten Residenzmodell.
Aus dieser Sicht sind natürlich durch Eltern-Kind-Entfremdung entwertete Elternteile selbst schuld. Außerdem sind natürlich die Väter die klassischen und jedes Jahr wieder neu in den Medien verunglimpfte Unterhaltsverweigerer, obwohl Väter bedeutend zuverlässiger Unterhalt bezahlen als Mütter – wenn diese über einen Kipppunkt hinweg in die Falle geraten.
Und logischerweise wird das gesamte Thema politisch von einem Bundesministerium vertreten, in dessen Namen nur Frauen und keine Männer vorkommen und das noch nie von einem Minister geleitet wurde. Natürlich lässt sich die Bundesfamilienministerin auch immer wieder als Bundesfrauenministerin adressieren – aber noch nie wurde sie auch Bundesmännerministerin genannt.
Es ist gut und wichtig, dass wir als VAfK auch im VAMV und im Kinderschutzbund (KSB) auf der lokalen und regionalen Ebene kongeniale Partner finden. Der KSB ist meist Träger von Begleitetem Umgang (BU). Die damit betrauten Personen wissen, welch unsäglicher Missbrauch über den BU auf dem Rücken von Kindern und entwerteten Elternteilen veranstaltet wird. Und trotzdem spielen alle mit, weil das von ganz oben genau so vorgegeben wird. Das nennt man politische Verantwortung. Als Beistand vor rund 100 Familiengerichten habe ich viele Einzelpersonen mit Rückgrat und Haltung kennengelernt und erlebe auch in Karlsruhe mutige Kooperationspartner. Betrachtet man aber die politisch wirksamen Haltungen auf Bundesebene, sind die exotischen Ausreißer an der Basis marginal in ihrer Wirkung und blenden nur.
Eigentlich geht es den Kritikern des Residenzmodells im Kern und zunächst nicht um eine bestimmte Betreuungsform nach einer Trennung der Eltern, sondern um den Paradigmenwechsel, der eben nicht im Residenzmodell unter den Eltern einen Sieger und einen Verlierer kürt, sondern beide Eltern für das Kind in die Pflicht nimmt. Deshalb wird aus dieser Sichtweise heraus das Wechselmodell auch mit der Vokabel „Doppelresidenz“ treffender umschrieben.
Daraus resultiert in erster Linie nicht eine paritätische Betreuungsform, sondern eher Konsequenzen zum Sorgerecht. Dazu gehört z.B., dass Väter so selbstverständlich von Geburt an sorgeberechtigt sind wie Mütter, was schließlich auch in der Gleichbedeutung der Geschlechter im Grundgesetz verankert ist. Die Ohrfeige des EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) im Jahr 2010 zur Behandlung von nicht ehelichen Vätern in Deutschland, die Menschenrechtswidrigkeit attestiert hat, ist eine logische Folge dieser staatlichen deutschen Abwertung von Männern als Väter und die politische Behandlung dieses Themas in den Jahren danach ist ein Dokument der Unfähigkeit von Politik, das Grundgesetz auch in Sachen Familie umzusetzen.
Der §1671 BGB, nach dem jedes Elternteil beim Familiengericht beantragen kann, dem anderen das Sorgerecht zu entziehen, wird als Machtinstrument von Eltern gegeneinander eingesetzt und ist typisches Zeichen der Alleinerziehenden-Ideologie, die den anderen Elternteil allein als Container für alle Widrigkeiten sieht: Er ist an allem schuld, hat alle negativen Konsequenzen zu tragen, muss alles bezahlen und wird dafür noch in Steuerklasse 1 gesteckt. Dabei genügt der §1666 zur Kindeswohlgefährdung, um eventuell nötige sorgerechtliche Konsequenzen umsetzen zu können.
Dieser Paradigmenwechsel, der beide Eltern für das Kind in die Pflicht nimmt, müsste in Konsequenz das Sorgerecht auch nicht mehr als eifersüchtig umkämpftes Gut im Elternstreit erkennen, sondern als das Recht des Kindes auf Betreuung durch seine beiden komplementär befähigten Eltern.
Daraus resultiert das, was in diesem Kontext immer wieder als Formel zu hören ist: Die (gefühlte) Augenhöhe zwischen den Eltern.
Erst danach folgen in zweiter Linie Konsequenzen für die Betreuungsform. Wenn ich allein die Betreuungsform als Hebel benutzen wollte, um die gesamte politisch-ideologisch getragene Disbalance zwischen den Geschlechtern, verbunden mit der Hätschelung von mütterzentrierter Alleinerziehung und offener Abwertung des Männlichen (z.B. im Grundsatzprogramm der SPD) verändern zu wollen, muss das schief gehen.
Die Betreuungsform müsste aus einer Übereinkunft der Eltern auf der Basis von gefühlter Augenhöhe resultieren und ist offen für jede Gewichtung zwischen den Eltern. Voraussetzung aber ist die (zumindest gefühlte) Gleichwertigkeit.
Immer wieder erkenne ich aber bei meinen vielen Einsätzen in Familiengerichten die Eltern im Ring, er mit auf dem Rücken zusammengebundenen Armen und sie mit Schlagringen an beiden Fäusten. Auf der Basis einer solch grotesken politischen Wertesetzung „Elternkonsens“ zu erreichen, ist eine perverse Forderung. Politische Ideologie durch reines Gutmenschentum überwinden zu können, ist das, was die Politik von Trennungseltern in der praktischen Umsetzung aber fordert.
Ich fordere stattdessen: Zuerst muss die Politik ihre Hausaufgaben machen und Gleichberechtigung, Gender Balance und Augenhöhe zwischen Trennungseltern gesetzlich umsetzen. Danach können wir über Elternkonsens und Befriedung reden.
Ich weiß, das ist eine fundamentalistische Haltung. Ich bin aber Realo und mache seit zwei Jahrzehnten unermüdlich das real notwendige Gegenteil: Obwohl in der Politik jede Entwicklung aus ideologischer Vernageltheit verschnarcht wird, tue ich so, als könnte ich mit dem Möwenschiss den Tanker vom Kurs abbringen.
Bis die von uns beauftragten und bezahlten SpezialistInnen in Berlin ihre Aufgabe begriffen haben und daran denken, welche Arbeit sie zu verrichten haben, biegen wir mit allen Professionen in der familialen Intervention am letzten Ende des Zeigers der Sonnenuhr, um unsere familienpolitisch mittelalterliche Welt doch noch etwas zeitgemäßer zu gestalten und doktern an Betreuungsmodellen herum.
Wir werden seit Jahrzehnten durch immer wieder neue Reformen ruhiggestellt, die teilweise auch groß propagierten Popanz darstellten. Eines aber blieb bisher immer erhalten: Die Vorherrschaft der Mutter als Elternteil erster Klasse.
Die Fallen, die dabei für Väter aufgestellt wurden, sind so raffiniert und so teuflisch, dass inzwischen auch immer mehr Mütter in diese Väterfallen tappen und dabei ihr staatlich als Bonus ins Wochenbett gelegte Wertesiegel „GUT“ verlieren. Wenn sie es zu bunt treiben oder wenn aufgrund der besonderen Konstellation (z.B. Mutter ist monatelang stationär in der Psychiatrie) der Vater dieselben Tricks anwenden kann, die für Mütter eingeführt wurden (z.B. sanktionsfreier Umzug mit den Kindern), dann geraten Mütter in denselben Teufelskreis von Entwertung, der eigentlich nur für Väter gedacht war. Und dann fühlt sich der Kindesentzug für Mütter und die eigene Entwertung genauso an wie für Väter.
Würde Hirn vom Himmel regnen und wir alle würden an einem großen Tisch das Problem gründlich regeln, hätten wir ganz schnell den Paradigmenwechsel. Solange dieser aber von der Politik verhindert wird, müssen wir einfach warten, bis es noch viel mehr Mütter trifft, die in die von ihren radikalen Geschlechtsgenossinnen ersonnenen Fallen tappen. Spätestens wenn die Hälfte der Unterhaltszahlenden Mütter sind, wird das Problem vom Tisch sein.
Landet eine entwertete Mutter z.B. bei der Mütterlobby, erkennt sie nicht das Grundproblem des Residenzmodells, sondern den angeblichen Systemfehler „mangelnde Bevorzugung des Mütterlichen“, getarnt als angebliche „Väterfreundlichkeit“ der Politik und der familialen Intervention.
Erkennt sie, dass sie aus der gehätschelten Kaste der Alleinerziehenden in die Kaste der Verlierer im Residenzmodell gefallen ist, landet sie oft beim „Väteraufbruch für Kinder“. Dieser ist nicht „einer der Vereine“, der sich um diese Verlierer kümmert, sondern er ist der einzige bundesweit agierende und mit einer vierstelligen Mitgliederzahl schon seit über 30 Jahren tätige Verein als Spezialist für die Verlierer im Residenzmodell. Er allein kümmert sich als Beratungsorganisation flächendeckend um jeden Einzelfall. Es gibt keine vergleichbare Organisation mit derselben Expertise. Damit ist er die dringend notwendige Ergänzung zum gesamten öffentlich organisierten und finanzierten Beratungssystem, das immer noch weitgehend nur die Gewinner im Residenzmodell im Visier hat.
Ein Beispiel:
Der „Väteraufbruch für Kinder Karlsruhe“ existiert im 19. Jahr, hat in einer kleinen Stadt über 10% der Gesamtmitgliederzahl der Bundesorganisation als gelistete Mitglieder, hatte über 11.000 Anwesenheiten in seinen öffentlichen Beratungen, betreute schon rund 3000 Einzelfälle und begleitete 600 Fälle von der Erstberatung bis ins Verfahren vor dem Familiengericht. Alle Zahlen sind belegt und nachweisbar.
Die damit verbundene Einsicht in die Strukturen der Entwertung von Elternteilen und deren möglichst erfolgreiche Unterstützung im familialen Verfahren ist eine erworbene Fähigkeit, die von keiner anderen Organisation umgesetzt werden kann.
Wir meinen aber nicht, dass damit das Ziel erreicht wäre. Das würde bedeuten, weiterhin den Gestank des Haufens, der sich staatlich korrekte Nachtrennungsideologie nennt, weiter nur mit Parfüm zu therapieren. Ich fordere aus der intimen Kenntnis der Abläufe heraus endlich den Paradigmenwechsel, der das Grundgesetz auch in Sachen Familie umsetzt und endlich die Menschenrechte auch für alle Eltern wirksam werden lässt.
Erst dadurch können wir denen gerecht werden, für die wir das alles schließlich mit viel Engagement, Herzblut und Durchhaltevermögen gestalten: UNSERE KINDER.
Zuschrift eines Lesers:
Sehr geehrter Herr Krieg,
Ihren Einsatz und Ihre Arbeit schätze ich als Trennungsvater sehr und dafür gebührt Ihnen mein Respekt!
Dieser Brief hat mich tief bewegt und vor allem beeindruckt.
So zeigt er doch uns allen ganz klar und deutlich die eklatanten Versäumnisse und Missstände in unserem Familienrechtssystem auf.
Vor allem in Bezug auf die politischen Versäumnisse, die hier schon seit Jahrzehnten bewusst nicht angegangen werden! Weiterhin zu Lasten der Kinder und in der Regel der Väter und auch wenigen Müttern.
Die Lösungsansätze, die Sie in Ihrem Brief erwähnen, finde ich ebenfalls gut und auch zielführend aus meiner Sicht.
Ich denke mit Ihren sehr deutlichen Worten sprechen Sie nicht nur mir, sondern vielen Trennungseltern und deren
Kindern einfach aus der Seele.
Damit geben Sie uns allen Mut und Zuversicht für eine hoffentlich bessere Zukunft.
Unsere Kinder, die ja auch unsere Zukunft sind, werden es Ihnen mehr als danken!
Denn damit haben Sie ihnen auch Gehör geschenkt und besonders Beachtung.
Ich möchte Ihnen recht herzlich dafür meinen Dank aussprechen.