Aktenzeichen |
12 F 28/23 |
Gericht |
AG Offenburg |
Datum |
19.04.2024 |
Sache |
Auskunftsanspruch |
Gesetzl. Grundlagen |
§ 1686 BGB |
Tenor |
Ein Vater darf zahlen, wenn die Kinder aber wollen, dass er nichts von ihnen erfährt – dann geht er leer aus. Die Kinder müssen wählen können, was sich für sie „gut anfühlt“. |
Situation
Die Eltern sind seit 4 Jahren getrennt, der Vater zahlt jeden Monat 1200 Euro Unterhalt für die beiden 15 und 17 Jahre alten Söhne, die er aber seit der Trennung vor 4 Jahren nicht mehr gesehen hat. Und er zahlt diese Summe immer noch, obwohl er sie vom Ersparten abzweigen muss, weil sein eigenes Geschäft seit dem Start von Corona nur noch das Existenzminimum für ihn selbst abwirft. Er meint, dafür, dass er immer noch für seine Kinder arbeitender Vater (mit Sorgerecht!) ist, müsste er zumindest die wichtigsten Informationen zu seinen Söhnen erhalten. Das ist auch durch §1686 BGB gesetzlich geregelt. Weil die Mutter sich mit Informationen aber sehr zurück hält und dies mit dem Wunsch der beiden Jungs begründet, stellte der Vater einen Antrag nach §1686.
Dass die Richterin mich als Beistand des anwaltlich nicht vertretenen Vaters zuließ, was von der Fachanwältin für Familienrecht als Vertreterin der Mutter kritisiert wurde, schuf die passende Einstimmung für die Verhandlung.
Gleich zu Beginn setzte die Fachanwältin einen starken Akzent: Sie hielt das ganze Verfahren für „rechtsmissbräuchlich“, weil die Kinder es ablehnen, den Vater zu informieren. Ich entgegnete, dass ich es für ein ethisch-moralisch fatales erzieherisches Prinzip halte, den Jungs zu vermitteln, dass es zwar absolut in Ordnung wäre, jeden Monat 1200 Euro des dafür arbeitenden Vaters zu verbrauchen, im Gegenzug aber Macht und Kontrolle gerade in einem emotional extrem stark besetzten Bereich über ihn auszuüben, indem sie diesen Vater von allen Informationen über sie abschneiden.
Die Fachanwältin hielt das Verfahren trotzdem für „rechtsmissbräuchlich“ und referierte über die Notwendigkeit, diese Kinder ernst zu nehmen und auf sie zu hören. Ich entgegnete mit dem Einwand, dass das BGB für solche Fälle von der wechselseitigen Pflicht zu Beistand und Rücksicht für Eltern und Kinder schreibt. Das war für die Fachanwältin für Familienrecht völlig neu. Dazu reichten ihre zwei Staatsexamen nicht aus. Es passte auch nicht in ihr Denkschema. Das glaubte sie nicht, sie wollte den Paragrafen genannt haben – was von der Richterin geleistet wurde. Sie ermittelte sehr schnell den §1618a BGB und las vor:
„Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig.“
Klar und schnörkellos. Einsichtig. Ohne weitere Erläuterungen oder Ausgrenzungen.
Nach dieser Fortbildung für die Fachanwältin drehte diese erst richtig auf. Die Kinder müssten erspüren, was sich für sie „gut anfühlt“. Das müsste dann von den Erwachsenen garantiert werden, damit diese Kinder das Vertrauen in die Erwachsenen nicht verlieren.
Und weil sie ja nur Jura und keine Sozialpädagogik studiert hatte, konnte sie auch nicht zwischen Vorschulkindern und Spätpubertierenden unterscheiden.
Ich überlege mir, ob ein Vater vielleicht auch das Recht haben könnte, in sich hineinzuhören, was sich für ihn „gut anfühlt“ – und ob er auch das Recht hat, dies umgesetzt zu sehen, um sein Vertrauen in den Rechtsstaat nicht völlig zu verlieren. Vielleicht wäre dann angemessen, seine derzeitige berufliche und gesundheitliche Krise ernst zu nehmen, eine ausgiebige Reha-Maßnahme zu starten, sich wegen eines PTBS arbeitsunfähig schreiben zu lassen und das, was er vererben könnte, selbst aufzubrauchen. Das wäre dann sein definitiver erzieherischer Akt. Er könnte als Einziger dafür sorgen, dass seine Söhne verstehen lernen, was das eigene Verhalten an Konsequenzen haben kann.
Und schließlich: Alles muss sich auch für ihn „gut anfühlen“.
Aktenzeichen: 12 F 28/23
Amtsgericht Offenburg
FAMILIENGERICHT
Beschluss
ln der Familiensache
1) Kind 1
– Betroffener zu 1 –
2) Kind 2
– Betroffener zu 2 –
Weitere Beteiligte:
Mutter:
NN1
Verfahrensbevollmächtigte:
NN2
Vater:
NN3
wegen elterlicher Sorge
hat das Amtsgericht Offenburg durch die Rechtspflegerin K. am 19.4.2024 beschlossen:
- 1. Es wird festgestellt, dass das Verfahren betreffend Kind 1 erledigt ist.
- Auf Antrag des Kindesvaters wird die Kindesmutter verpflichtet, folgende Auskünfte über das Kind2 zu erteilen:
– Auskunft über die Gesundheit durch Übersendung von Kopien der Arztberichte der Uniklinik Freiburg bzgl. der Hörschädigung von Kind2 sowie weiterer akuter erheblicher Gesundheits-/ Krankheitsangelegenheiten.
– Auskunft über schulische Angelegenheiten durch Übersendung einer Kopie der Schulzeugnisse / Schulabschlusszeugnisses.
- Die Kosten des Verfahrens hat der Kindesvater zu tragen.
- Der Verfahrenswert wird auf 4000 € festgesetzt.
Gründe:
Der Kindesvater begehrt mit Antrag vom 19.4.2023 von der Kindesmutter Auskunft über die persönlichen Verhältnisse der beiden gemeinschaftlichen Kinder.
Die Kindesmutter tritt dem Antrag entgegen.
Im Sorgerechtsverfahren 3 F 50/23 wurde anlässlich der dortigen Anhörung am 30.6.23 bereits die Auskunftsverpflichtung zwischen den Eltern erörtert. Die Kindesmutter hat im Termin am 30.6.23 die in Zif. 2 genannten Auskunft zugesichert.
Der Kindesvater besteht jedoch weiterhin auf Verbescheidung seines Antrags, welchen er mit Schreiben vom 8.6.2023 weiter konkretisiert hat.
Das Jugendamt hat sich in seiner schriftlichen Stellungnahme dafür ausgesprochen, dass der Wunsch der Kinder, keinen Kontakt zu ihrem Vater zu haben und auch keine Auskünfte zu erteilen, zu beachten ist.
Die Jugendlichen wurden vom Gericht persönlich angehört. ln ihrer Anhörung haben sie eindeutig den Wunsch geäußert, dass dem Vater keine Auskünfte erteilt werden sollen.
Am 31.1.24 wurden die Beteiligten einschließlich Jugendamt persönlich angehört.
Der Antrag hinsichtlich Kind1 hat sich durch dessen Volljährigkeit erledigt. Er wäre jedoch zurückzuweisen gewesen, da sich Kind1 eindeutig gegen die Erteilung der Auskünfte ausgesprochen hat. Der Wille eines fast volljährigen Kindes ist hier zu beachten und steht dem Interesse des Vaters an Auskünften über sein Kind entgegen (vgl. OLG München B.v. 31.3.2022- 16 UF 1406/21).
Hinsichtlich Kind2 stellt sich die Angelegenheit wie folgt dar.
Grundsätzlich steht dem Kindesvater gem. § 1686 BGB ein Anspruch gegen die Kindesmutter ein Anspruch auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes zu. Erforderlich für den Anspruch ist zum einen, dass der Auskunftsberechtigte ein berechtigtes Interesse an der Aufkunftserteilung hat. Desweiteren darf die Auskunftserteilung nicht dem Wohl des Kindes widersprechen.
Ein berechtigtes Interesse des Kindesvaters an den persönlichen Verhältnisse seines Sohnes Kind2 kann grundsätzlich bejaht werden. Der Kindesvater hat seit längerer Zeit keinen Kontakt weder persönlich noch telefonisch mehr zu Kind2. Kind2 verweigert den Kontakt.
Dem Kindesvater ist es daher nicht möglich, direkt über seinen fast 16jährigen Sohn Auskünfte darüber zu erhalten, wie es ihm geht oder welche Interessen er hat bzw. wie es in der Schule läuft. Auch eine andere zumutbare Möglichkeit, Auskünfte zu erhalten, besteht nicht.
Der Kindesvater hat daher Auskunft von der Kindesmutter verlangt, in deren Obhut Kind2 lebt.
Er begehrt umfangreiche Auskünfte über die Gesundheit, die Interessen, Freunde und schulischen Angelegenheiten von Kind2. Auf sein Schreiben vom 8.6.23 wird insoweit Bezug genommen.
Die Kindesmutter hat jedoch bisher nicht in dem vom Kindesvater gewünschten Umfang Auskunft erteilt. Zur Begründung führt sie aus, dass beide Söhne dies nicht wünschen und sie deren Willen berücksichtigen wolle und müsse.
Im Termin im Sorgerechtsverfahren habe sie sich bereit erklärt, die Zeugnisse von Kind2 und die Arztberichte bezüglich der Hörschädigung und sonstige wichtige Untersuchungen zu übersenden.
Zu weiteren Auskünften ist sie nicht bereit.
Kind2 hat in seiner Anhörung seinen Wunsch ausdrücklich erklärt, dass er nicht möchte, dass sein Vater Bilder von ihm erhalte und auch sonstige Auskünfte nicht an ihn erteilt werden sollen.
Er möchte einfach seine Ruhe haben und nicht immer wieder (auch nicht indirekt) mit den Wünschen des Vaters konfrontiert werden.
Das Jugendamt hat sich dafür ausgesprochen, dass der Wunsch des Jugendlichen beachtet werden muss, um Schaden von seiner weiteren Entwicklung fernzuhalten.
Auch das Gericht ist zur Auffassung gelangt, dass Kind2 aufgrund seiner Entwicklung und seines Alters in der Lage ist, einen unabhängigen Willen zu bilden und zu äußern.
Dieser Wille steht dem berechtigten Interesse des Kindesvaters an Auskünften über die Entwicklung seines Sohnes entgegen. Wie das Jugendamt hält auch das Gericht es für seine weitere Entwicklung wichtig, dass dieser Wille auch beachtet werde. Mit zunehmendem Alter steht das Selbstbestimmungsrecht des Kindes im Vordergrund.
Der Umfang der Auskunft ist entsprechend dem Willen des Kindes einzuschränken, wenn dieses ein Alter und einen Entwicklungsstand erreicht hat, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass es in der Lage ist, über Informationen über seine höchstpersönlichen Angelegenheiten selbst zu bestimmen. (OLG München B.v. 31.3.2022- 16 UF 1406/21 u. OLG Köln FamRZ 2017, 385)
Das Gericht ist daher zur Auffassung gelangt, dass eine Auskunftsverpflichtung der Kindesmutter über die bereits zugestandenen Punkte hinaus, dem Wohl von Kind2 widersprechen würde.
Widerspricht das Auskunftsverlangen dem Wohl des Kindes, darf die Auskunft verweigert werden.
Der Antrag des Kindesvaters war daher zurückzuweisen, soweit nicht bereits die Auskunftserteilung durch die Kindesmutter im Sorgerechtsverfahren zugesagt worden war.
Nach dem Vortrag des Kindesvaters würde sich die Mutter weiterhin nicht an ihre Zusage halten.
Daher erfolgte der nochmalige und nunmehr vollstreckungsfähige Ausspruch insoweit durch diesen Beschluss.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach§ 81 Abs. 1 FamFG. Die Kosten waren nach billigem Ermessen dem Kindesvater aufzuerlegen, da dieser spätestens nach der Anhörung im Sorgerechtsverfahren davon wusste, dass der Wille der Kinder der Auskunftserteilung entgegenstehe und man eine Einigung erzielt hatte. Trotzdem wurde der Antrag weiterverfolgt, obwohl der Kindesvater hätte erkennen können, dass keine Aussicht auf Erfolg besteht. Es entspricht daher der Billigkeit, dem Kindesvater die Kosten des Verfahrens ganz aufzuerlegen.
Der Verfahrenswert richtet sich nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 FamGKG.
K.
Rechtspflegerin
Amtsgericht Offenburg
12 F 28/23
Kommentar
Was fühlt sich für den Vater nach dieser familiengerichtlichen Entscheidung gut an?
Ich erinnere an meine Artikel zum Thema Armageddon.
Außerdem erwähnte ich dieses Verfahren schon in diesem Artikel.
Kreuzfahrt oder „zu Kreuze kriechen“? – Ich würde die KREUZFAHRT wählen.