Das Sorgerecht besteht aus dem Aufenthaltsbestimmungsrecht (ABR) und den weiteren Sorgerechtsbereichen Gesundheit, Schule und Vermögen.
Der Hauptaufenthalt des Kindes wird nicht durch das Gericht entschieden. Dies entscheidet nur, wer den Hauptaufenthaltsort des Kindes bestimmen darf. Damit ist das ABR gemeint.
In Deutschland wird auf diese Weise der wichtige Klassenunterschied zwischen den Eltern festgelegt.
Im Residenzmodell (das Kind hat einen Hauptaufenthaltsort und der Umgang ist unter 50%) erhält ein Elternteil das Kind, das Geld, die bessere Steuerklasse und quasi die Zusicherung, schon immer alles richtig gemacht zu haben und auch weiterhin immer alles richtig zu machen. Unser System ordnet diese Rolle weit überwiegend der Mutter zu.
Dem anderen Elternteil wird das Kind weitgehend entzogen, er muss zahlen, wird dafür in die schlechtere Steuerklasse eingeordnet – der Staat kassiert also mit – und er wird zum allein Schuldigen gemacht.
Darin besteht in Deutschland der Klassenunterschied zwischen den beiden Nachtrennungs-Eltern.
Ein Vater, der das Alleinige ABR will, macht damit der Mutter die ihr vom Staat zugebilligte Rolle streitig. Er will ihr das Kind nehmen und die bessere Rolle für sich reklamieren. Das wird vom System meist abgestraft. Es sei denn, die Mutter ist so defizitär und macht so viele Fehler, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt. Der Antrag eines Vaters auf das ABR – der klassische Fall konkurrierender Sorgerechtsanträge, weil die Anwältin der Mutter natürlich das ABR für diese ebenfalls allein beantragt – ist nur dann ratsam, wenn das Jugendamt und der Verfahrensbeistand dazu auffordern und schon im Voraus erklären, dass sie dies unterstützen würden.
Wer den „gewöhnlichen Aufenthaltsort“ des Kindes bei sich hat, hat damit die Alltagssorge und kann alles bestimmen, was den Alltag des Kindes betrifft.
Ausgenommen sind die wichtigeren Entscheidungen uns Sachen Gesundheit, Schule und Vermögen.
Ob das Kind mit einem Husten krank ist und zuhause bleibt oder nicht, betrifft die Alltagssorge. Ob ein Kind eine Heilbehandlung oder eine psychologische Therapie bekommt oder operiert wird, betrifft die Gesundheitssorge beider Eltern und muss – auch im Residenzmodell – von beiden Eltern entschieden werden.
Genauso verhält es sich mit der Schule: Ob das Kind in einem Fach Nachhilfe braucht, betrifft die Alltagssorge. Ob das Kind eine Klasse freiwillig wiederholt oder die Schule wechselt, ist eine Entscheidung, die von beiden sorgeberechtigten Eltern getroffen werden muss.
Die Erfahrung zeigt, dass sich viele Sieger im Residenzmodell hemmungslos übergriffig verhalten und das Sorgerecht des anderen Elternteils ignorieren. Wenn sich dieser streitig stellt und die Entscheidung des hauptbetreuenden Elternteils in Frage stellt, wird meist nicht geprüft, ob diese Skepsis berechtigt war. Es wird allein kritisiert, dass er den Sieger in seiner Entscheidung behindert hat, und es besteht damit die Gefahr, dass der Verlierer die Sorge im entsprechenden Bereich entzogen bekommt.
Weil das so ist, haben sich gerade Mütter darin eingeübt, hemmungslos frei entscheiden zu können oder dem Vater nur ihre Entscheidung zur Unterschrift vorzulegen. Eine gemeinsame Erörterung der Gründe vor einer Entscheidung wird einfach übergangen.
Das ist auch ein Grund dafür, dass es unbedingt noch viel mehr vätergeführte Alleinerziehendenhaushalte geben muss. Da der Mutter Übergriffigkeit einfach als ihr natürliches Recht zugebilligt wird, müssen zuerst viel mehr Väter sich dasselbe Recht herausnehmen, bevor erkannt wird, dass das Problem nicht das Geschlecht, sondern die Übergriffigkeit selbst ist.
Wäre genug Intelligenz im System, könnte das schon vorher erkannt werden und es würde gegen jede Übergriffigkeit einer Mutter vorgegangen werden. Da diese Intelligenz fehlt, muss es dann wohl die harte Tour sein: Der Übergriffigkeit von Müttern wird die Übergriffigkeit von Vätern als Sieger im Residenzmodell entgegengestellt. Erst dann werden bestimmte weniger intelligente Menschen ebenfalls begreifen, dass die Übergriffigkeit an sich das Problem darstellt.
Noch komplizierter wird das Ganze durch die Möglichkeit, die Entscheidungsfreiheit in bestimmten Bereichen per Vollmacht zu übertragen.
Wenn z.B. ein Vater die Vollmacht zur Entscheidung im Bereich Gesundheit an die Mutter überträgt, kann die Mutter allein entscheiden, ob das Kind operiert wird. Der Vater verliert damit aber sein Informationsrecht nicht und die Mutter ist weiter informationspflichtig. Der Vater hat also auch das Recht (und die Pflicht) sich mit den Ärzten zu unterhalten. Er darf nur nicht entscheiden.