Am 22.10.2016 veranstaltete Anton Pototschnig (www.doppelresidenz.at) im Wiener Bundesfinanzministerium die 1. Fachtagung zum Thema Doppelresidenz in Österreich.
140 TeilnehmerInnen (130 Personen aus den Professionen) verliehen neben dem illustren ReferentInnenzirkel, der interessanten Konzeption und den Räiumlichkeiten der Tagung den würdigen Rahmen.
Mark Ruiz Hellin gestaltete souverän die angenehme Tagungsmoderation
Anton Pototschnig eröffnete die Tagung
Das erste Referat hielt
Dr. Reinhard Jackwerth
Senatsvorsitzender und Richter am LG für Zivilrechtsachen Wien
Titel des Vortrages:
Doppelresidenz: Gesetzliche Situation in Österreich nach der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes von Oktober 2015
Spruchpraxis in Österreich; Auswirkung auf Unterhalt und Aufenthaltsbestimmungsrecht
Es wurde deutlich, dass die derzeitige Rechtspraxis den realten Abläufen in der Gesellschaft nicht mehr gerecht wird.
Es folgte die Präsentation der Ergebnisse einer Studie im Rahmen einer Masterarbeit:
Teresa Amann MSc.
Studentin an der Universität Wien, Fakultät Psychologie.
Sie hat im Zuge Ihrer Masterarbeit junge Erwachsene nach ihren Eindrücken befragt und deren Erfahrungen mit dem Residenzmodell, dem Doppelresidenzmodell und denen aus intakten Familien gegenüber gestellt.
Titel des Vortrags: „Auswirkungen von Formen der Nachtrennungsfamilie – unter besonderer Berücksichtigung der Doppelresidenz“
Im Wesentlichen wurden schon aus anderen internationalen Untersuchungen bekannte Ergebnisse bestätigt.
Das folgende Referat wurde nicht von der Autorin selbst, sondern aus gesundheitlichen Gründen von ihrem jüngsten schon erwachsenen Sohn vorgetragen:
Univ. Prof. Dr. med. Marguerite Dunitz-Scheer
Leiterin der Kinderpsychosomatik, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz,
Kinderbetreuungsbeauftragte der Mediz. Univ. Graz
Mutter von 6 Kindern, 2 Stieftöchtern, 3 Pflegekindern, Oma von 12 Enkeln
Buchautorin u.a. von „meine deine unsere“ Leben in der Patchworkfamilie, Falter Verlag
Titel des Vortrages:
Wie kann ich mit einem nicht von mir gefüllten Rucksack mit meinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen ehrlich und gut leben? Erfahrungen und Rezepte aus dem Kochbuch für Patchworkgerichte!
Der Vortrag war mit seiner sehr persönlichen Note ein Highlight der Veranstaltung und geriet zu einem glühenden Appell für die Doppelresidenz.
Die folgende Referentin berichtete aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Arbeit mit Kindern:
Mag. Veronika Richter
eingetragene Mediatorin, Besuchsbegleiterin und Elternberaterin beim Wiener Familienbund, Kindercoach bei „Collaborative Law“ – www.collaborativelaw.eu – Buchautorin von „Rückenwind für Scheidungskinder“ Verlag Kneipp
Veronika Richter war 18 Jahre lang Gruppenleiterin für „Rainbows – für Kinder in stürmischen Zeiten“ und leitete ca. 55 Kindergruppen und 8 Feriencamps.
Veronika Richter hat vier erwachsene Töchter, fünf Enkelkinder und lebt in Wien.
Titel des Vortrags:
Doppelresidenz vor dem Spiegel der Erfahrungen mit „Kindern in stürmischen Zeiten“
Das Hauptreferat der Tagung hielt mit eingeplanten vollen zwei Stunden
Prof. Dr. jur. Hildegund Sünderhauf-Kravets
Sie ist seit 2000 Professorin für Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, Autorin der einzigen umfassenden Metastudie über das Modell der Doppelresidenz: „Wechselmodell: Psychologie – Recht – Praxis“ (Springer VS, 2013).
Professorin Sünderhauf ist eine international gefragte Doppelresidenz-Expertin und berät das Bundesjustizministerium Deutschland und den Europarat.
Titel des Vortrags:
Doppelresidenz: Normalität oder Revolution?
Empirische Evidenz zum Kindeswohl, Genderaspekte und rechtspolitische Entwicklungen der elterlichen Verantwortung nach Trennung/Scheidung.
Frau Sünderhauf überzeugte durch ihre klare, wissenschaflich fundierte Darstellung. Die Vorteile der Doppelresidenz sind international so überzeugend erwiesen, dass jeder Verzögerung in der Umsetzung unlautere böswillige (bzw. egomane) Absicht unterstellt werden muss.
Nach diesem letzten wissenschaftlichen Beitrag folgte eine Podiumsrunde:
Erfahrungsberichte von Eltern und jungen Erwachsenen mit der Doppelresidenz.
Moderation: Astrid Görtz, Lehrtherapeutin und Therapeutin in freier Praxis
Elternteile und in der Doppelresidenz aufgewachsene Jugendliche aus verschiedenen Familienkontexten berichteten über ihre Erfahrungen. Auffallend war bei allen eine sehr entspannte Haltung im Rückblick auf die Jahre nach der Trennung. Allen gemeinsam war auch die positive Bewertung des Modells („Ich würde das wieder so machen!“), trotz des Hinweises auf die Herausforderungen („Es hat sich gelohnt!“).
Allerdings wurde auch deutlich, dass die Rechtspraxis auf vielen mit dem Lösungsmodell verbundenen Bereichen der Realität hoffnungslos hinterher hinkt. „Wir mussten das, was wir wollten und auch machten, trickreich dem Gericht verkaufen“. Das wurde durchgängig deutlich.
Es muss gefragt werden, wer für eine solche blamable Disposition eines Systems verantwortlich ist.
Diesem Podium aus der gelebten Praxis folgte ein Expertenpodium:
Podiumsdiskussion
moderiert von Prof. Dr. Leibovici-Mühlberger
mit:
Mag. Doris Täubel-Weinreich, Richterin und Vorsitzende der Fachgruppe Familienrecht
Prof. Dr. jur. Hildegund Sünderhauf
Anton Pototschnig, Obmann der Plattform Doppelresidenz
Mag. Dagmar Bojdunyk-Rack, Geschäftsführerin von Rainbows Öst.
Gabriele Fischer, Vorsitzende der ÖPA (Österreichische Plattform für Alleinerziehende)
Will man das Ergebnis auf einen Satz reduzieren, müsste man erkennen, dass die Gerichte auf die Verantwortung der Politik verweisen (und damit von ihrer möglichen Gestaltungsfreiheit ablenken) und dass die Politik Gründe sucht (und geliefert bekommt), um eine Veränderung auszusitzen.
Für eine herausragende Tagung kann den Veranstaltern, insbesondere Anton Pototschnig, eine Gratulation ausgesprochen werden!
Das gab natürlich auch Anlass, zum Abschluss im Kreis von alten und neuen Freunden entspannt ein Glas Wein zu trinken.