(Name geändert)
Ich muss damit umgehen, dass sich der erste Vater, den ich als Beistand betreute, zwei Tage nach der Verhandlung am Familiengericht das Leben genommen hat.
Tobias, den ich seit Anfang dieses Jahres betreute und mit dem ich am Mittwoch, 13.08., beim Familiengericht war, hat sich wahrscheinlich am Freitag Abend mit Tabletten das Leben genommen. Entfernt wohnende Freunde, die ihn gestern, am Sonntag Nachmittag, besuchten, weil er sich seit der Verhandlung nicht mehr gemeldet hatte und auch das Handy abgestellt war, fanden ihn tot.
Heute (18.08.) gab es dazu keine Meldung in den Medien.
Damit muss ich mich auch nicht mit dem Blödsinn beschäftigen, den uninformierte SchreiberInnen der Öffentlichkeit vorsetzen: „Sorgerechtsstreit“ oder ähnliche dämliche Vokabeln ohne Realitätsbezug.
Ich weiß, dass ich in seinem Fall alles getan habe, was man mit professionellem Anspruch tun kann. In der Regel verhindere ich durch meine Arbeit Suizide, weil ich erklären kann, warum was wie funktioniert und weil ich aufzeige, wie durch geschickte Reaktion „die Chancen genutzt werden können, die man nicht hat“.
Im Fall von Tobias waren diesem Bemühen Grenzen gesetzt, weil er psychisch belastet war. Alle waren sich einig, dass er ein Problem mit emotionalen Impulsdurchbrüchen hatte – und zwar nach beiden Seiten, einmal depressiv und einmal hyperaktiv. Man konnte von ihm keine Konstanz erwarten. Er war auch deshalb in Therapie.
Dass seine kleine Tochter damit umgehen musste, wollte ihr niemand zumuten, obwohl sie sehr klug und sehr resilient ist. Alle, die sie beschreiben, schwärmen geradezu von ihr. Am erstaunlichsten ist wohl ihre Analysefähigkeit und ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit im Alter von gerade mal 5 Jahren (Anfang August).
Auch war allen klar, dass die Belastung des Vaters in Richtung bipolar, Borderline, ADHS oder Depression ging, dass aber wohl jede psychiatrische Begutachtung nichts von all dem, sehr wohl aber eine Persönlichkeitsakzentuierung in diese Richtungen attestiert hätte.
Er hatte vor der Verhandlung für sich eine Grenze definiert, die er nicht überschreiten kann, weil er das nicht schaffen kann und auch nicht schaffen will. Das hatte er mir auch mitgeteilt, wovon ich ihm dringend abgeraten habe.
Obwohl eigentlich alle versucht haben, mit Empathie für ihn eine konstruktive Lösung zu finden und sich wirklich Mühe gegeben haben, wollte er das Ergebnis schließlich nicht annehmen. Er hatte sich endlich das Ende des BU und mindestens 1 Übernachtung alle 2 Wochen als Mindestmaß dessen gesetzt, was er auszuhalten bereit war. Und er verweigerte sich allem, was darunter liegen würde.
Deshalb musste die Richterin sich damit abfinden, beschließen zu müssen, was sie nicht wollte.
Ich habe noch keine Ahnung, ob der Beschluss schon raus ist. Aber ich werde das erfahren.
Alle waren sich einig, dass wir alle in dieser Verhandlung eigentlich niemand wirklich gerecht werden können. Ich formulierte, dass dieses Kind eben nun einmal diese Eltern hat, dass dies das Schicksal jedes Kindes ist und dass wir keine andere Möglichkeit haben, als die schmerzfreieste von allen möglichen schlechten Entscheidungen zu wählen. Eine bessere gab es nicht.
Sogar die Mutter der Kleinen ist immer wieder emotional auf seiner Seite, kann und will aber mit seiner emotionalen Sprunghaftigkeit nicht umgehen.
Sie macht sich jetzt Vorwürfe, dass sie sich nach der Verhandlung nicht bei ihm gemeldet hatte. Ich bin im Kontakt mit ihr und habe ihr erklärt, dass es keine Person gibt, die sich jetzt „schuldig“ fühlen müsste. Dieser Suizid erfolgte nicht im Affekt, er war eine wohlüberlegte Entscheidung, die in unserem System fast schon zwangsläufig war, weil das System insgesamt Väter übergriffig und ignorant diskriminierend behandelt. Während Kinder immer wieder als Therapeutika für defizitäre Mütter eingesetzt werden, werden Kinder von psychisch belasteten Vätern ferngehalten. Es ist die Ignoranz Vätern gegenüber, die solche Suizide hervorbringt. Betrachtet man die Relation von Suiziden von Männern mittleren Alters und von Frauen mittleren Alters, kann man feststellen, dass sich etwa 5 Mal soviele Männer suizidieren wie Frauen.
Das kommt vom System und hat System.
Und es geht ganz selten um einen „Sorgerechtsstreit“, sondern fast immer darum, dass der Vater aus dem Leben des Kindes gestrichen wird, bzw. marginalisiert wird. Der Hausmeister der Schule ist als präsenter Mann wichtiger als der eigene Vater. Das Kind kann bei jeder halbwegs bekannten Person übernachten – nur nicht beim Vater. Das sind alles Konsequenzen aus der Rücksichtnahme auf die Bauchsteuerung der Mutter und der Missachtung des Vaters.
Die Mutter kam letzten Mittwoch am Ende der Verhandlung auf mich zu und verabschiedete sich von mir mit Handschlag. Das war auch der Grund, warum ich ihr angerufen habe. Sie fürchtete zunächst das, was ihre dumme und ignorante Anwältin meinte: Ich sei ein radikaler Väterrechtler, der die Verhandlung aufmischen würde. Die Mutter stellte aber fest, dass jetzt vielleicht eine Besserung eintreten könne, weil der Vater mit einem Coach aufgetreten ist, der lösungsorientiert vorgeht und der in einer Art kommuniziert, die Hoffnung macht.
Das wirklich Schwierige wird werden, wie diese Mutter ihre Tochter informiert. Die Kleine hatte immer wieder große Empathie mit ihrem Vater und wollte, dass ihre Mama und sie etwas tun, damit sich der Papa besser fühlen kann. Das nannten die Professionen dann auch Parentifizierung (außer dem Typ vom Jugendamt, für diesen war es „Paternalisierung“) und begründeten damit, ihn von seiner Tochter fernhalten zu müssen.
Ob die jetzige Entfernung vom Kind wohl groß genug sein wird für einen deutschen Vater?
Auch das ist eine Erfahrung, mit der ich bei meiner Arbeit umgehen muss.
Nochmals: Der Suizid von Tobias war keine Kurzschlusshandlung, sondern eine wohlüberlegte Entscheidung.
Bis jetzt wurde kein Abschiedsbrief gefunden.