Karfreitag, den 02.04.1999
Hallo Helga,
Ich habe mich entschlossen, in diesen Ferien nicht wegzufahren, sondern den Frühling zuhause zu genießen und einige Dinge aufzuarbeiten. An diesem wunderschönen Frühlingstag war ich lange draußen und hatte Gelegenheit, nachzudenken. Ich habe gefühlt, dass wir an einem entscheidenden Punkt angekommen sind und dass es Zeit wird, einige Dinge auszudrücken, die bis jetzt nicht offen geäußert wurden.
Der Familienrichter K. hat Dich zum ersten Mal bei Deiner Anhörung selbst erlebt und hat sich eine eigene Meinung gebildet. Er hatte genug schriftliches Material, um sich über den Verlauf der letzten Jahre zu informieren. Bei meiner Anhörung hatte ich den Eindruck, dass er schon genau weiß, wie der Beschluss aussehen wird. Er holte sich nur Bestätigung dafür. Auch die Anhörung Leonies, die unmittelbar bevorsteht, wird wohl nur noch eine Abrundung bedeuten. Ich habe jahrelang gezögert, diese gerichtliche Regelung zu erzwingen. Es ist schade, war aber jetzt unvermeidlich und im Interesse Leonies von fundamentaler Bedeutung. Obwohl dieser Beschluss nicht das bringen kann, was ich schon immer anstrebte und was für unsere Kinder wichtig gewesen wäre, wird es doch zumindest ein weiterer Schritt in eine notwendige und von Dir immer boykottierte Richtung sein.
Im August 1994 – das heißt vor bald 5 Jahren, drei Viertel des Lebens von Leonie – hast Du mich rausgeworfen. Du hast alle Rechte an Dich gerissen und seither alles von Dir aus bestimmt. Du hast Dich hemmungslos ausgetobt und stehst jetzt vor den ersten deutlichen Folgen Deiner Entscheidungen. Mir blieb immer nur die Reaktion, die Mahnung oder auch nur das ohnmächtige Mitansehenmüssen. Das hat aber zur Folge, dass die Last der Verantwortung jetzt auch nur auf Dir alleine ruht. Du hast immer für alles einen Schuldigen gebraucht, dem Du die Verantwortung anhängen kannst. Jetzt hast Du Dich selbst in eine Situation manöveriert, wo Dir nichts weiter bleibt, als die Verantwortung alleine annehmen zu müssen.
Kannst Du Dich noch an die Situation erinnern als Anna erst 1 Jahr alt war: Sie lag schlafend hinter unseren Köpfen und Du hast mich angeschrien: „Du wirst es erleben, eines Tages werde ich sie Dir wegnehmen.“ Da ich wusste, dass mir gegen solchen zerstörerischen Egoismus nichts mehr bleibt, ging ich damals verzweifelt nachts raus und ging ziellos durch den Ort. Du hast Deine Prophezeihung wahr gemacht. Du bist eine bemerkenswerte Frau. Bist Du stolz auf Dich?
Was ist mit Anna in den letzten Jahren geschehen? Zunächst hast Du sie an Dich gebunden und ihr klar gemacht, dass ihr Papa an allem, was nicht gut ist, schuld ist. Dann hast Du ihr mütterliche Vernachlässigung und weiblichen Egotrip vorgespielt. Erinnerst Du Dich noch an Leonies wunden Hintern, weil sie mit der Windel der letzten Nacht plus Inhalt oft bis nachmittags rumlief? Oder an die böse Geschichte mit Leonies Fußpilz? Das war Juni/Juli 96. Leonie hing die ganze Sohlenhaut schon in Fetzen ab. Du hast zunächst gesagt, Du hättest nicht gewusst, was das sei. Dann hast Du Anna beauftragt, Leonie einzucremen. Die aber hat geglaubt, Du würdest das machen. Kannst Du Dich erinnern, wie sie wütend wurde, weil Du „mit zwei Männern rummachst“, weil Du mit verheirateten Männern Wochenenden und Urlaub verbringst, wie sie von Dir schriftlich forderte, dass Du ihr sagst, wohin Du gehst und was Du machst? Letzteres war am Donnerstag, den 04.07.96. Du hattest gerade eine neue „Ausrüstung“ im schwarz-roten Kunstledermatchsack. Diese war dann, wie vorher das schwarze Kunstlederköfferchen, ständig im Auto und Leonies Füßchen baumelten darüber, wenn sie bei Dir im Auto saß. Kurz zuvor (21.06.) war die Photosession bei „Lara“ in Durlach, die für die Nachwelt dokumentieren sollte, was Dich für 2-3 Jahre mehr beschäftigt hat als Deine Kinder. Anna hat seismographisch auf all das reagiert. Weißt Du, was sie alles weiß? Ob sie wohl auch die Zahlenkombination 450-130 kennt? Ich denke, ihre komplizierte psychologische Situation ist nur unter der Bedingung zu verstehen, dass sie weit mehr wissen muss als Du ahnst.
In diesem Sommer war ich dann mit Anna in Indonesien. Du bist darauf zunächst gerne eingegangen, weil es Dir für Deine Aktionen Freiraum verschaffte. Während dieser Zeit hast Du dann aber Panik bekommen. Dich packte die Angst, ich könnte mit Anna das machen, was Du die ganze Zeit mit ihr anrichtest. Deshalb hast Du sie in den ersten zwei Tagen nach unserer Rückkehr umgepolt. Damit hast Du ihr endgültig für Jahre den Vater genommen, sie zur Halbwaise gemacht. Gerade in dieser Zeit hast Du ihr aber keine Alternative geboten. Du konntest den Freiraum nicht füllen, denn Du warst nicht mehr da. Stattdessen lebtest Du in einer Dreierbeziehung, bei der sich Anna sehr unwohl fühlte und deshalb gerne mit Leonie allein zuhause blieb. Für sie war dieses Alleingelassen werden in ihrem heutigen Verständnis „das Schönste, was sie in diesen Jahren hatte“. Wie traurig und böse zugleich. Dass der Mann, für den Du die Kinder allein gelassen hast, auch nicht zögerte, Dir eine runterzuhauen, war für Anna zumindest atmosphärisch spürbar. Das Perverse der ganzen Situation war ihr zutiefst zuwider.
Schon der 12-Jährigen hast Du Lektionen erteilt, die für ihr weiteres Leben prägend sein werden. Du hast sie ins Erwachsenwerden gestoßen, ohne auf ihre Entwicklung Rücksicht zu nehmen. Schon viel zu früh bekam sie zuviel Verantwortung und zu viel Freiheit. Kein Wunder, dass sie mit 14-15 schon meint, erwachsen zu sein. Jetzt macht sie selbst das, was ich nie gemacht hätte: Sie entfernt sich auch von Dir. Es bleibt ihr gar keine andere Wahl. Weißt Du noch, wie Du Deine Mutter hasstest? Ein Trauma von Dir müsste eigentlich sein, dasselbe mit Deinen eigenen Töchtern zu erleben. Ab dem Spätjahr 95 machst Du aber nichts weiter, als eben dies zu provozieren. Anna empfindet das Kranke der Situation und drängt unwillkürlich raus. Den Weg zum Vater hast Du ihr aktiv versperrt, Dein weiteres Verhalten hat die negative Abnabelung von Dir zur Folge. Damit ist sie psychologisch gesehen Vollwaise.
Was hat sie von Dir gelernt? Dass es z.B. völlig normal und legal ist, einen Mann und selbst den eigenen Vater als reinen Zahlvater zu missbrauchen. Wozu führt das? Wenn ich mit meinem Vater dasselbe gemacht hätte, was Anna sich mir gegenüber erlaubt, würde mir schlecht werden, wenn ich in den Spiegel sehen würde. Anna kann das noch nicht voll realisieren, aber irgendwann wird sie die Zusammenhänge sehen und es wird ihr große Probleme bereiten. Ihr Männer- und Vaterbild ist tief gestört und es ist schon so schlimm, dass auch Herr K. zugibt, dass es wohl in Annas Fall zu spät ist.
Jetzt kann sie nur impulsiv rausdrängen. Glaubst Du, es ist eben normal pubertär, wenn eine 14-Jährige, die mit der kleinen Schwester allein zuhause zum Hausarrest verdonnert wird, regelmäßig ihren Freund über Nacht kommen lässt? Dass die Mutter ihr mit dem Internat drohen muss, die Polizei wegen ihr holt? Dass sie offen gegen das Jugendschutzgesetz verstößt? Alle diese Probleme sind in diesem Fall von Dir persönlich handgestrickt. Du hast das allein und bewusst gegen mich als den Vater der Kinder genauso gemacht und Du allein hast das nun auch zu verantworten. Anna trägt natürlich moralisch insofern eine Mitschuld, als sie darauf pocht, erwachsen zu sein und selbst genau zu wissen, was sie tut. Man muss sie dann auch nach ihren eigenen Maßstäben beurteilen. Die Entscheidungen dafür hast Du aber schon längst vorher stellvertretend für sie gefällt. Und diese werden sie für den Rest ihres Lebens begleiten. Da Anna das fühlt, will sie nur noch raus, all dem entfliehen. Wir wissen, dass das nicht geht. Ich habe ihr schon gesagt, dass der einzige Weg der mühsame ist: all den Haufen Scheiße zwischen uns wegräumen. Ich warte darauf, dass Anna stark genug und bewusst genug wird, diese Aufgabe anzugehen. Und ich hoffe, dass Du es nicht soweit getrieben hast, dass sie vorher aufgibt.
Und Leonie? Sie ist all dem zum Trotz nach wie vor ein Sonnenschein. Es ist fast nicht zu glauben, aber oberflächlich betrachtet geht sie zwar immer wieder leidend, aber insgesamt stabil da hindurch. Bei ihr ist tatsächlich noch „etwas zu retten“, was bei Anna schon längst versäumt ist. Als Leonie 3-4 Jahre alt war, eben während des Sommers 96, als ich aufgrund der Ereignisse zum ersten Mal Kontakt mit dem Jugendamt aufnahm, war Leonie vollkommen desorientiert. Ihren Papa durfte sie kaum sehen, ihre Mama war ständig weg und wer sie bevormundete, war eben nur ihre Schwester, die mit der Aufgabe überfordert war. Ihre „Trotzphase“ fiel entsprechend heftig aus, was so nicht hätte sein müssen. Die, die in den letzten Jahren mehr mit Leonie zu tun hatten, kennen ihre bitteren Beschwerden über die „böse Mama,“ die sie nicht zu ihrem Papa lässt. Leonie hat inzwischen gelernt, auf das unverzeihliche und von destruktivem Egoismus geprägte Verhalten ihrer Mutter zu reagieren. Sie entscheidet für sich schon lange, welche Lüge unter den gegebenen Umständen entschuldbar ist und was als Trick legitim ist. So gesehen ist natürlich die Situation, in der zu leben sie gezwungen ist, nicht spurlos an ihr vorbeigegangen und ihre Erziehung, die viel subtiler auf der passiven Ebene wirkt als auf einer bewußt aktiven – die eh zur Nebensache degradiert wurde – hat auch wie bei Anna ihre Spuren hinterlassen, deren Auswirkungen wohl erst später voll in Erscheinung treten werden.
Zur Verdeutlichung dessen, was ich meine, lege ich zwei Ausschnitte aus meiner CHRONOLOGIE bei.
Ich habe natürlich aus den Vorkommnissen ebenfalls meine Lehren gezogen. Dein idiotischer und sinnloser Kampf, den niemand gewinnen kann und bei dem es nur Verlierer gibt, interessiert mich nur insofern, als eben meine Kinder auch die Verlierer sind. Schuld daran bist zunächst Du. Ich kann aber die deutsche Justiz, in diesem Fall die immer noch praktizierte Familienrechtspraxis mit den beteiligten Ämtern, insbesondere das Jugendamt, nicht von einer Mitverantwortung freisprechen. Seit 2-3 Jahren weiß das Jugendamt, was läuft. Ich habe damals schon die Auswirkungen vorausgesehen und die Konfliktsituation Annas geschildert. Das Jugendamt hat sich durch Untätigkeit mitschuldig gemacht. Die Familiengerichtsbarkeit hat Dir das Gefühl vermittelt, im Recht zu sein, auch wenn Du Dich austobst. Nur die Zahlungspflichten des Vaters werden kontrolliert. Das egozentrische Sorge-Recht der Mutter wird geschützt – die daraus resultierende SORGE-VERPFLICHTUNG wird nicht kontrolliert. Auch Auswüchse werden nach Anzeige erst dann verfolgt, wenn bei den Kindern schon deutliche Schädigungen nachzuweisen sind, d.h., wenn es eh zu spät ist.
Ich habe mich deshalb im Väteraufbruch für Kinder e.V. organisiert. Es wird sich nur etwas ändern, wenn viele öffentlich darlegen, was als Folge einer solchen Familienrechtspraxis praktisch abläuft. Meine oben zitierte Chronologie umfasst alle Phasen des Ablaufs der letzten Jahre und wird demnächst öffentlich zur Verfügung stehen. Ich habe lange geglaubt, Dich als die Mutter meiner Kinder schützen, d.h. decken zu müssen. Das ist jetzt nicht mehr gut und nicht mehr möglich. Du gehörst zu den Frauen, die der Frauenbewegung in den Rücken gefallen sind und musst Dich evtl. mit der öffentlichen Diskussion dieser Tatsache auseinandersetzen.
Finanziell hast Du einen Weg gewählt, der weitreichende Folgen hat. Ich habe in diesem Zusammenhang in den letzten 4 Jahren etwa 75.000.- DM überwiesen. Das ist nicht mehr „vom Mund abzusparen“. Es geht also nicht von meinen Lebenshaltungskosten ab, sondern trat an die Stelle einer Vermögensbildung. Dies bedeutet, was die Kinder heute bekommen, geht von einer evtl. Erbmasse ab, ist also zu Lebzeiten ausbezahltes Erbe. Die Verwaltung und Verantwortung obliegt also ebenfalls Dir. Ich bin inzwischen so lange berufstätig, dass mir ein gewisser Standard zusteht. Außerdem habe auch ich nur dieses eine Leben. Was meine Ausgabefreudigkeit angeht, hat sich durch Deine Vorgaben deshalb auch einiges geändert. Zum Glück habe ich immer noch meine alte power und sehe mein Vergnügen immer noch darin, Sachen zu machen, die sich zumindest teilweise selbst finanzieren. Irgendwann wird das wohl aufhören und dann werden meine finanziellen Reserven in schnellerem Umfang schwinden als das in den letzten vier Jahren der Fall war. Ich hoffe nicht, dass ich meine Kinder irgendwann einmal daran erinnern muss, dass nicht nur sie das Recht haben, wegen Geld gegen ihren Vater einen Prozess zu führen – eine Entscheidung, die Du so für sie gefällt hast und mit der Du sie belastet hast.
Es ist absolut zu spät für eine Korrektur. Der Leidensweg der Kinder ist schon zu lange und zu folgenschwer. Trotzdem hoffe ich immer noch auf eine Chance, erwachsener mit der Situation umgehen zu können. Das geht allerdings nicht nur über die Umstellung auf einen anderen Umgangston. Jetzt wie schon vor 4-5 Jahren ist die Einsicht in die wirklichen Bedürfnisse der Kinder und die daraus resultierenden Verantwortlichkeiten wichtig. Letztere musst Du auch endlich annehmen lernen.