Heute in einem Familiengericht im hohen Norden.
Zwei Jungs in der Adoleszenz, die den Vater schon seit fast drei Jahren nicht mehr gesehen haben und zwei Eltern, die im Streit miteinander verhakt und festgefahren sind. Deshalb verschieben sie ja auch die Schuld auf den jeweils anderen: Er ist der Stalker, der eine Bedrohung darstellt und sie ist die Gewinnerin im Residenzmodell, die noch nie verstanden hat, was vom §1684 bestimmte Bindungsfürsorge bedeutet und die auch nie von den Professionen dazu verpflichtet wurde.
Eine Richterin, die relativ neu im Fall involviert ist, eine bemühte Verfahrensbeiständin, die gelernt hat, professionell zu arbeiten, aber natürlich zu sehr ihr Geld in einem System von mütterzentriertem Residenzmodell verdient und eine Sozialpädagogin vom Jugendamt, die schon alle Facetten von Elternstreit hinter sich hat.
Dazu ein Rechtsanwalt auf Seiten der Mutter, der natürlich deren subjektive Interessen vertritt, was ja auch seine Aufgabe ist.
Ich komme nun als Beistand in dieses Setting, in dem der Vater eine umfassende Zumutung darstellt – Zumutung für die Mutter, die in einer neuen Familie endlich Ruhe haben will, Zumutung für die Kinder, die in der Ablehnung des Vaters ihre Lösung gefunden haben und eine Zumutung für die Professionen, deren Interesse vom System gesteuert ist und ansonsten in der von Frauen dominierten Mütterzentrierung gefangen ist.
Der Vater meint nun, nach 3 Jahren Beziehungsabbruch und Entfremdung mit einem Antrag das gesamte Geschehen familiengerichtlich auf den Prüfstand stellen zu können und aus der Erkenntnis der Professionen, dass sie schon vor 3 Jahren ihren Job nicht richtig gemacht hätten, einen Beschluss auf „Umgang“ zu erhalten – mit dem die Mutter natürlich sofort in die Beschwerde gehen würde.
Die Terminierung der Erörterung auf 1,5 Stunden regt eine schnelle Lösung an – kurzer Prozess.
Dieses Szenario ist schon im Ansatz an die Wand gefahren.
Eigentlich gibt es keine Lösung. Zumindest keine, mit der alle zufrieden sein könnten.
Wie bringt man diese Kuh vom Eis?
Im Gespräch ergibt sich, dass besonders die Eltern inzwischen dazu gelernt haben. Beide sind strukturierter und weniger emotional als sie dies in den Verfahren zuvor waren. Man erkennt die Bereitschaft, endlich eine Lösung finden zu wollen, die aus der derzeitigen Konfrontation herausführen könnte. Aber niemand sieht einen Weg.
Schnell ist klar, dass der kurze Prozess bedeuten würde: Kindesanhörung mit Bestätigung, dass die Kinder keinen Kontakt wollen und daran anknüpfender Beschluss zur weiteren Umgangsaussetzung.
Das Signal an alle – und besonders an die Kinder – wäre: Der Streit geht weiter und der Vater hat das bekommen, was er verdient. Der Graben wäre noch tiefer.
Natürlich wäre auch eine Vereinbarung möglich, die auch eine Festlegung treffen könnte, wie der Vater-Kind-Kontakt in Zukunft stattzufinden hat. Und die familiengerichtliche Billigung – evtl. sogar mit Ordnungsmittelbewehrung – würde ebenfalls eine Kindesanhörung nötig machen.
Das wollen aber beide Eltern vermeiden.
Bleibt nur noch ein Weg:
Die Eltern formulieren einen Minimalkonsens als Absichtserklärung, die mehr Türen öffnet als sie zuschlägt. Diese wird nicht familiengerichtlich gebilligt und nicht bewehrt.
Das Programm heißt DEESKALATION & ENTSPANNUNG und GERINGST MÖGLICHER WEITERER SCHADEN.
Weg von der Konfrontation – zaghafte Versuche von Kooperation, was sich darin ausdrückt, dass ein Feld von Begegnungsszenarien und Begegnungsoptionen über alle Beteiligten eröffnet wird, dem die Kinder zustimmen KÖNNEN, aber nicht müssen.
Und in der Vereinbarung steht, dass die Mutter den Kindern diese Optionen als willkommen und konstruktiv kommuniziert.
Dass der Gegenanwalt meint, eine Rücknahme des Antrags sei ein noch viel stärkeres Signal an die Kinder, erklärt sich aus seinem Selbstverständnis als Parteivertreter – aber nicht mehr aus der Logik der Deeskalation ohne Kürung eines Gewinners und Abstempelung eines Verlierers. Dass Jugendamt und Verfahrensbeistand diesem Vorschlag zustimmen, war – systemisch gedacht – zu erwarten, verfehlt aber die Idee der Verantwortlichkeit beider Eltern für die defizitäre Situation dieser Nachtrennungsfamilie.
Der Vater musste zurück von seiner Erwartungshaltung und die Mutter musste eine Öffnung zulassen, was einen Ausgleich der Interessen schaffte, und zwar in eine Richtung, die die Situation der Kinder ins Zentrum stellt.
Jetzt ist Aktives Warten für den Vater angesagt.
Und Unterstützung der Bewegung aufeinander zu von der Mutter.
Wenn das gelingt, werden wir in einem Jahr nicht wieder bei Gericht landen, was fatal wäre.
Können beide Eltern dies erkennen, ist die Lösung nicht allzu weit.
Was war der Erfolg dieser Verhandlung?
Aus der Konfrontation von Eltern vor Gericht keimte das vorsichtige Signal auf, nicht business as usual zu inszenieren, sondern einen neuen Freiraum zu schaffen, in dem Einsicht in die Verantwortlichkeit der Eltern, Begegnungsoptionen zwischen Kindern und Vater und Befriedung Hoffnung machten.