Eine vergleichende Analyse aus der Sicht eines Beraters der Betroffenen
Verfasst aus Anlass des Familienkongresses des VAfK am 17.11.2012 in Halle
Im Rahmen meiner Beratungstätigkeit im VAfK Karlsruhe habe ich in den letzten 11 Jahren über 1500 Neufälle betreut und war inzwischen bei einer Vielzahl von familialen Verfahren vor den Gerichten als Beistand tätig.
In diesem Zusammenhang begegneten mir auch etwa 150 – 200 Gutachten, von denen ich diejenigen auswählte, zu denen ich die meisten Informationen besaß.
Da mir Gutachten als physikalische Fotokopie, als digitale jpgs jeder Einzelseite, als bildbasiertes pdf, als textbasiertes pdf und hin und wieder auch als Textdatei zur Verfügung stehen und ich noch nicht alle Gutachten komplett digitalisiert habe, stehen mir (noch) nicht alle wichtigen Parameter für den Vergleich, wie z.B. Zeichenzahl pro Seite und weitere Daten, zur Verfügung.
Nach der Vorauswahl machte ich genau 100 Gutachten zur Grundlage dieser hier vorgestellten vergleichenden Betrachtung.
Die Auswahl ist also eher eine zufällige, der allein folgende Voraussetzungen zugrunde lagen:
- Mindestens eine betroffene Partei kam auf mich zu und wünschte von mir eine Beratung in ihrer Angelegenheit – woraus eine Auswahl mit geographischer Dominanz im deutschen Südwesten resultiert. D.h., eine Partei wohnt entweder im Südwesten oder hat mich als Berater ausgewählt.
- Das Gutachten musste mir zumindest in einer der oben geschilderten Formen vorliegen.
Bei einer Auswahl von 100 Gutachten unter diesen Voraussetzungen ist diese Vergleichsgrundlage gerade für unsere Arbeit im VAfK wohl ausreichend repräsentativ.
Wozu machte ich mir diese Arbeit?
Man könnte annehmen, dass es im Kontext familienrechtlicher Verfahren fast ausschließlich zur Erstellung familienpsychologischer Gutachten zu Fragen um Sorge und Umgang kommt. Ich erlebte allerdings eine Vielfalt von weiteren Fragestellungen und eine Vielfalt aller Parameter, die im Rahmen der Gutachtenerstellung in familialen Verfahren eine Rolle spielen. Zunächst ist es meine Absicht, diese Vielfalt anschaulich zu machen.
Außerdem:
Im Gleichklang mit vielen kritischen Stimmen der letzten Zeit – ich erinnere nur
- an die ZDF-Sendung vom 26.10.2011 zu Gutachten in familialen Verfahren,
- an den Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 14.02.2012
- oder an den Artikel von Katrin Hummel vom letzten Sonntag, den 11.11., in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
also: Im Gleichklang mit dieser Kritik erlebte auch ich die Praxis der Gutachtenerstellung als nicht besonders hilfreich und in der geglückten Erfüllung der vom Gericht gestellten Aufgabe als außerordentlich zufällig, beliebig und manchmal überraschend mangelhaft.
Damit erhält die Beauftragung eines Gutachtens meist die Qualität eines Russischen Roulette.
Ich möchte versuchen, Gründe hierfür erkennbar zu machen.
Diese Arbeit ist ein Zwischenbericht. Ich habe die Liste der mir zur Verfügung stehenden Gutachten schon vor Jahren begonnen, habe aber erst in den letzten Monaten die statistische Aufbereitung dazu weiter geführt.
Natürlich muss ich auch eine Anonymität wahren, die den Betroffenen und den Autoren gerecht wird.
Die untersuchten 100 Gutachten betreffen 84 Väter und 6 Frauen.
Von den 84 Vätern liegen mir für 8 Väter je zwei Gutachten und für einen Vater sogar drei Gutachten vor.
Bei meiner Auswahl kam es also im Verlauf der Verfahrenschronologie bei 8% zu einer zweiten Gutachtenerstellung und bei 1% zu drei Gutachten in Folge.
Bei den 6 betroffenen Frauen handelt es sich um 4 Mütter, die aus verschiedenen Gründen das Problem haben, von ihren Kindern abgetrennt zu werden, um 1 Oma in Konkurrenz um die Mutterrolle zu ihrer eigenen Tochter und in einem komplexen Fall um 1 Zweitfrau in der Konkurrenz zur Mutter.
Damit ist bei meiner Auswahl der Prozentsatz der betroffenen Mütter um mindestens das 4-fache höher als in der sonstigen Beratungsarbeit.
Eigentlich müsste man annehmen, dass unter den hier gegebenen Voraussetzungen die beauftragenden Gerichte auch fast alle in Baden-Württemberg angesiedelt sein müssten. Diese Annahme wird nicht bestätigt.
Natürlich ist das FG Karlsruhe mit der Beauftragung in 8 Fällen, Baden-Baden und Offenburg mit je 6 Beauftragungen, Karlsruhe-Durlach mit 5, Calw und Pforzheim mit je 4 Aufträgen, Landau und Mannheim mit je 3 Aufträgen und die FGe Bruchsal, Ettlingen, Heidelberg, Heilbronn, Lindau, aber auch Marl und Wetter an der Ruhr mit je 2 Aufträgen vertreten.
Der Rest verteilt sich mit je einem Auftrag auf weitere 40 Familiengerichte über den gesamten Westen der Republik plus je ein Auftrag vom OLG Karlsruhe und vom OLG Oldenburg.
Die Beauftragungen stammen aus den Jahren 2001 bis 2012 und sind zeitlich wie folgt verteilt:
Die Aufträge wurden durch verschiedenste Fragenfelder ausgelöst:
81 Gutachten sind im weitesten Sinne familienpsychologische Gutachten.
7 Gutachten liegt eine psychiatrische Fragestellung zugrunde
6 Gutachten sind aussagepsychologische Gutachten im Rahmen eines Missbrauchsvorwurfes
5 Gutachten liegt eine ärztliche Fragestellung zugrunde, um z.B. die Frage der Unterhaltsfähigkeit zu beantworten und
1 Gutachten wurde verfasst, um ein vorher erstelltes Gutachten kritisch zu überprüfen.
Den 81 familienpsychologischen Gutachten liegt meist eine komplexe Fragestellung zugrunde, die ich auf explizit genannte Bereiche untersuchte.
Hierbei wurden in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit genannt:
Umgang 46
Sorge 30
Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. Lebensmittelpunkt 27
Vorwurf des Sexuellen Missbrauches 14
Erziehungsfähigkeit 9
Wechselmodell (PDR) 3
Unterhalt 3
In vielen Fällen war ein Gemenge von Fragen mit sorgerechtlicher und umgangsrechtlicher Relevanz gegeben und damit verknüpft auch immer wieder die Frage des Umgangs mit einem Missbrauchsvorwurf oder die Frage nach der Erziehungseignung.
Der Vorwurf des Sexuellen Missbrauches spielt bei 14% der Gutachten eine teils zentrale Rolle. Damit liegt dieser Prozentsatz um fast das 5-fache höher als im Jahr 2000 durch Busse et al in Berlin festgestellt. Jene Untersuchung ermittelte, dass in 3% aller familiengerichtlichen Verfahren dieser Vorwurf erhoben wird, der allerdings in 86% der Beschuldigungen nicht erhärtet werden kann.
Es ist natürlich zu erwarten, dass dieser Vorwurf immer wieder so hartnäckig aufrecht erhalten wird, dass er zum Gegenstand gutachterlicher Betrachtung werden muss und dass damit der Prozentsatz unter den Gutachten entsprechend höher ist.
Die 100 Gutachten wurden von 68 Sachverständigen verfasst.
Es überwiegen natürlich zunächst die direkt in Karlsruhe angesiedelten Beauftragten mit ein Mal 8 und zwei Mal mit 3 Gutachten.
Die beiden großen Gutachterinstitutionen aus Tübingen und Stuttgart sind mit 4 und 6 Gutachten in meiner Liste vertreten und ein Einzelgutachter aus dem Umkreis Karlsruhe mit 5 Gutachten.
Weitere 11 Sachverständige sind mit ein Mal 3 und ansonsten 2 Gutachten vertreten.
Alle 51 restlichen Gutachten stammen von weiteren 51 Sachverständigen aus dem Westen der Republik mit Dominanz im Süden.
12 Gutachten wurden von Mitgliedern der GWG, der Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie, und 6 Gutachten von Mitgliedern der GAST, der Gutachtenstelle Stuttgart verfasst.
Interessant sind die aus den Namensadditiven und Berufsbezeichnungen hervorgehenden Qualifikationen der Sachverständigen.
Mit 49 Gutachten haben rund die Hälfte der Gutachten Diplom-Psychologen beiderlei Geschlechtes verfasst.
Mit 13 Gutachten folgen in der Häufigkeit die Diplom-Psychologen mit der als konstruktiv empfundenen Zusatzqualifikation eines Psychotherapeuten.
Mit 4 Gutachten folgen die Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Mit je 2 Gutachten folgen die
– Psychologischen Psychotherapeuten,
– Ärzte für Psychiatrie und Diplompsychologen,
– die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und die
– Neurologen, Psychiater, Psychotherapeuten und forensischen Psychiater.
Mit je einem Gutachten folgen jeweils ein
– Diplom-Psychologe und Familien-Therapeut, eine
– Diplom-Psychologin und forensische Psychologin, ein
– Diplom-Psychologe und Diplomsoziologe und ein
– Diplom-Sozialpädagoge und Psychotherapeut.
Die Angaben zur Qualifikation der Sachverständigen sind wichtig und geben Aufschluss, in wie weit diese Qualifikationen auch dazu geeignet sind, die Fragen des Gerichtes zu beantworten.
Die restlichen Sachverständigen mit je einem Gutachten lassen sich in der folgenden eskalativen Liste aufzählen:
Dr. med.
Facharzt
Kinder- und Jugendpsychiater
Dr. psych.
Fachpsychologin für Rechtspsychologie
Fachpsychologe für Klinische Psychologie
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychologie und -psychotherapie
Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie + Neurologie
Fachpsychologin für Rechtspsychologie und Psychologische Psychotherapie
Diese eskalative Reihe kann hierarchisch nur noch getoppt werden durch die Bezeichnungen
Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder dem
Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Alle diese Qualifikationen sind in 45 Fällen, also in rund der Hälfte aller Gutachten mit einem Doktor-Titel garniert.
Die Top-Dekoration erfolgt mit einem Professoren-Titel, was immerhin für 18% der Gutachten in meiner Liste zutrifft.
Es macht den Eindruck, als ob die definitive Gültigkeit der jeweiligen möglichen psychologischen Beliebigkeit der sachverständigen Bewertung durch den eskalativen Einsatz von Namensadditiven erhärtet werden soll.
Immerhin beauftragt ein Richter die Erstellung eines Gutachtens zunächst, um seine fehlende psychologische und sozialpädagogische Ausbildung auszugleichen. Aber immer wieder scheint durch, dass durch ein Gutachten eher der Bestand einer richterlichen Entscheidung vor der Beschwerdeinstanz gefestigt werden soll.
Eine Qualifikation habe ich jetzt noch nicht aufgeführt.
Nach der eskalativen Anhäufung von Titeln besticht sie durch Understatement, lässt aber nicht nur positiv aufhorchen.
3 der 100 Gutachten wurden als familienpsychologische Gutachten von einer Diplom-Sozialpädagogin ohne weitere Zusatzqualifikation (außer der einer Supervisorin) erstellt.
Ich kenne einen Vater, der mit einem enormen prozesstaktischen Aufwand gegen die Anmaßung der entsprechenden fachlichen Qualifikation vorging.
Erst nachdem er feststellen musste, dass er wie gegen Beton anrannte, konnte er in Erfahrung bringen, dass die Diplom-Sozialpädagogin die Tochter eines ehemaligen Landgerichtspräsidenten ist.
Außer Konkurrenz (also unter den 100 Gutachten nicht gelistet) wird diese Form von Understatement nur noch übertroffen vom Gutachten einer Grundschullehrerin, die ihre Empfehlung der Aussetzung der Kontakte zwischen Vater und Tochter tatsächlich als GUTACHTEN überschrieb.
Der nächste interessante Parameter ist die Zeit, die verstreicht von der Beauftragung des Gutachtens bis zu dessen Erstellung.
Man muss im Regelfall davon ausgehen, dass vor der Erstellung des Gutachtens eine Mangelsituation besteht. Sehr oft wird die Zeit der Gutachtenerstellung für eine komplette Aussetzung des Kontaktes zwischen Vater und Kind benutzt. Im Hinblick auf dieses Faktum ist eine zügige Fertigstellung eines Gutachtens eine wichtige Forderung im Hinblick auf die Auswirkung auf die förderliche Entwicklung des Kindes.
Medizinische Gutachten beruhen meist auf 1 Diagnosetermin mit folgendem Bericht und sind deshalb relativ schnell erstellbar.
Das schnellste Gutachten lag deshalb schon nach 2 Wochen vor.
Der negative Spitzenreiter zeichnet sich dadurch aus, dass das Gutachten 24 Monate nach der Beauftragung vorgelegt wurde.
Die Durchschnittsdauer für die Erstellung eines Gutachtens betrug bei meiner Auswahl annähernd 6 Monate.
Ähnlich große Unterschiede sind bezüglich dem Umfang der Gutachten festzustellen.
Das kürzeste Gutachten – ein medizinisches – ist nur 2 Seiten lang.
Das längste Gutachten, das in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist, erhielt ich erst vor wenigen Wochen. Es ist 251 Seiten lang.
Der Durchnittsumfang beträgt 48 Seiten.
Die statistische Verteilung der Zeitdauer bis zur Fertigstellung des Gutachtens und die statistische Verteilung des Umfangs der Gutachten nach Seitenzahl ergibt etwa die gleiche Kurve.
Der Umfang in Seiten ist wohl auch Indikator für die Kosten des Gutachtens. In diesem Zusammenhang ist interessant, mit welchen Mitteln die Seitenzahl beeinflusst werden kann.
Schrifttyp, Schriftgröße, Zeilenabstand und die Bemessung der Seitenränder sind die Parameter, die den entscheidenen Einfluss auf den Umfang, gemessen in Seiten, ausüben.
Objektiver Indikator für die Auswirkung der Summe der genannten Parameter ist die Anzahl der Zeichen pro Seite.
Diese beträgt in einer als Textdatei vorliegenden Auswahl von 34 Gutachten minimal 1013 und maximal 2896 Zeichen pro Seite, was einer Relation von fast 1:3 entspricht. Damit könnte also ein Gutachten auf das 3-fache der Seitenzahl aufgebläht werden.
Der Durchschitt liegt bei 1780 Zeichen pro Seite.
Zum Vergleich:
Eine DIN A4-Seite voller Kleinbuchstaben „m“ in Times New Roman, 12pt, mit Standard-Rand und 1-zeiligem Abstand fasst 2448 Zeichen. Schmalere Buchstaben ergeben noch mehr Zeichen.
Absätze als Gliederungsmerkmale oder Aufzählungen reduzieren allerdings die Zeichenzahl.
Eine Textseite dieses Referates – in Absätze untergliedert – beinhaltet 2200 Zeichen. Vergleicht man damit den Schnitt von 1780 Z/S bei den Gutachten, ist in vielen Gutachten die Tendenz erkennbar, den Umfang des Textes durch die Formatierung zu erweitern.
Der letzte von mir untersuchte Parameter betrifft die
angewandten Testmethoden im Rahmen der psychologischen Untersuchungen.
Es würde zu weit führen, alle von mir ermittelten und in den 100 Gutachten angewandten über 50 Testverfahren für die psychologische Exploration von Kindern und die mindestens 25 Testverfahren zur Exploration von Eltern hier aufzulisten.
Exemplarisch erwähne ich zunächst die ersten 5 auf meiner alphabetischen Liste:
Für Kinder:
AAI
Adult Attachment Interview
AFS
Angstfragebogen f. Schüler
AWST 3-6
Aktive Wortschatz-Test 3-6 nach Klese/Kozielski
BAV 3-11
Bochumer Angstverfahren für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter von Mackowiak und Lengning, 2010
CAT (KAT)
Children Apperception Test oder Kinder-Apperzeptions-Test
Für Eltern:
16 PF-R
16-Persönlichkeits-Faktoren-Test (Schneewind/Graf, 1998)
AAI
Adult Attachment Interview
BL
Beschwerden-Liste
CAP VI
Child Abuse Potential Inventory nach Joel S. Milner
CBCL 1 ½ – 5
Child Behavior Checklist von Achenbach (1999)
Elternfragebogen über das Verhalten von Klein- und Vorschulkindern
Die quantitative Auswertung ergab:
Spitzenreiter bei der Untersuchung von Kindern sind die drei klassischen Testverfahren
- FRT, der Family-Relation-Test, der 18 mal Anwendung fand, und mit je 12 Anwendungen der
- FiT, die Umsetzung der Familienmitglieder in Tiere und der
- SET, der Satz-Ergänzungs-Test nach Rotter
Es folgen:
DFT – Der Düss-Fabel-Test 8
SZT – Der Schloss-Zeichen-Test nach Michaelis 8
PDG – Die Psychodiagnostischen Gespräche
(Gesprächs-Leitfaden?) 7
MZT – Der Mann-Zeichen-Test nach Ziler und Koppitz 6
CAT – Der Children Apperception Test 6
FIT – Der Familien-Identifikations-Test
nach Remschmidt-Mattejat, 1999 5
ST – Der Sceno-Test nach Staabs 4
SWT – Der Sterne-Wellen-Test nach Ave-Lallemant 4
CAT – Der Children Apperception Test 6
ESI – Das Erziehungsstil-Inventar nach H. Krohne und A. Pulsack 3
GEV – Das Geschichten-Ergänzungsverfahren
nach G. Gloger-Tippelt 3
SPEG – Das Sensomotorische und psychosoziale
Entwicklungsgitter nach Kiphard 3
Es folgen mit je 2 Anwendungen 7 weitere Testmethoden und
mit je 1 Anwendung schließlich noch 27 weitere genormte Testverfahren.
Diesen genormten Methoden folgen noch weitere nicht normierte Teste und Explorationsverfahren.
Wie tendenziös diese Mittel angewendet werden, möchte ich an einem Beispiel erläutern:
In der Fabel vom Vogelbaby wird dem Kind erzählt, dass es sich allein beim ersten Flugversuch befindet und von seinen Vogeleltern beobachtet wird, die auf zwei weit auseiander stehenden aber gleich weit vom Vogelkind entfernten Bäumen sitzen.
Plötzlich wird das Vogelbaby von einem Raubvogel verfolgt und befindet sich in großer Not.
In dieser Situation sind zwei Lösungsfragen vorstellbar:
- Zu wem flüchtest Du? Zum Baum, auf dem sich die Mama befindet oder zum Baum mit dem Papa?
- Wen rufst Du zu Hilfe, Mama oder Papa?
Es ist leicht denkbar, dass die erste Frage mit „Mama“ und die zweite wohl mit „Papa“ beantwortet werden könnte.
Ich habe aber bisher nur die erste Fragevariante in Gutachten vorgefunden.
Die zweifelhafte Beliebigkeit solcher subtiler Verfahren, hinter denen sich jede Art von Prädispositionen verstecken lassen, prägen die Gutachtenpraxis.
Damit bin ich am Ende meiner bisherigen quantitativen Untersuchungen.
Was – quantitativ – bisher von mir noch nicht untersucht wurde, sind z.B. Fragen nach der Aufgabenstellung durch den Richter:
- Deskriptives/entscheidungsorientiertes oder lösungsorientiertes/interventionistisches Gutachten
- die Frage nach der Entfernung zwischen ausgegrenztem Elternteil und Kind im jeweiligen Fall oder z.B. auch
- die Kosten des Gutachtens.
Im vorher schon erwähnten Gutachten im Umfang von 251 Seiten haben wir zunächst ein für uns vordergründig positives Beispiel vorliegen, das klar Stellung nimmt. Es kommt zum Schluss, dass die Mutter das Kind in unzulässiger Weise instrumentalisiert und dass das Kind deshalb von der Mutter zum Vater wechseln solle.
Im Literaturverzeichnis werden fünf Bücher aufgezählt – alle sind Bücher zu PAS.
Kosten des Gutachtens: 16.000 Euro.
Der Ergänzung der quantitativen Analyse sollte eine qualitative Analyse folgen:
- Wie hilfreich war das Gutachten im Verfahren im Hinblick auf die Lösungsfindung aus Richtersicht?
Folgte das Gericht dem Vorschlag des Gutachtens oder entschied das Gericht gegen den Vorschlag des Sachverständigen, weil es von dessen Begründungsstrategie nicht überzeugt war?
- Was erreichte das Gutachten für das Kind? Und dies sowohl kurzfristig als auch langfristig betrachtet.
- Was erreichte das Gutachten im Hinblick auf die Deeskalation des Elternkonfliktes?
- Wie passen die Qualifikationen des SV zur Fragestellung?
- Wie passen die eingesetzten psychodiagnostischen Testverfahren zur Fragestellung?
- Gab es eine Entwicklung im Einsatz der psychodiagnostischen Testverfahren im Verlauf des Untersuchungszeitraums?
Die Aufgabenstellung ist für mich also nach oben offen.