Seit der Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1991 und der Bestätigung des darin dokumentierten Paradigmenwechsels durch das neue Kindschaftsrecht zum 01.07.1998 hat das Jugendamt eine völlig neue Aufgabe bekommen, die Ziel und Arbeitsweise neu bestimmt.
Die einzelnen Jugendämter befinden sich zur Zeit an irgend einer Stelle der weiten Strecke, die diese Veränderung ausmacht. Manche haben sich noch wenig bewegt, andere arbeiten schon in einer Art und Weise, die dem heutigen Kenntnisstand der Beziehungs- und Entwicklungsforschung gerecht wird.
Aus den Schwierigkeiten, die dieser notwendigen Umstrukturierung entgegenstehen und im Zusammenwirken mit der schwerfälligen Funktionsweise einer quasi beamteten Behörde ist erklärbar, dass viele Jugendämter den intendierten Wandel nicht oder nur schlecht nachvollziehen. Nicht zuletzt dieser Umstand ist Anlass beständiger Kritik und im Verein mit immer wieder publizierten spektakulären Fällen von Versagen der Jugendämter Ursache für einen Zustand, der krisenhaften Charakter trägt. Dies artikuliert sich auch immer wieder in den Medien.
Es besteht die Tendenz, nach dem Motto „Wo gehobelt wird, fallen Späne“ diese Kritik nur auf Einzelfälle zu beziehen, den schwierigen Gegenstand dafür verantwortlich zu machen, um die Diskussion struktureller Schwächen damit zu umgehen.
Im Folgenden möchte ich Elemente der Kritik aus der Sicht von Vätern auflisten:
- Jugendämter arbeiten erwachsenenorientiert und dabei meist einseitig mütterorientiert.
Beispiele:
Jugendamt Karlsruhe-Land
Die Frauenbeauftragte des Landkreises Karlsruhe ist Abteilungsleiterin im Jugendamt und ist in Gefahr, ihre zielgruppenorientierte Arbeit als Frauenbeauftragte auch als Richtschnur ihrer Arbeit im Jugendamt zu begreifen. Sollte dies durch eine Amtsleitung unterstützt werden, die sich nach außen abgrenzt und eher den Dialog ablehnt als ihn zu suchen, sind Entwicklungsmöglichkeiten dadurch entsprechend begrenzt. (Zitat: „Einen Dialog gibt es nur, wenn Kritik am Jugendamt ausgeschlossen bleibt.“)
Ich zitiere dazu aus einer Stellenausschreibung für die Besetzung der Stelle einer Jugendamtsleitung:
„- Sie arbeiten mit Gremien der ehrenamtlichen Selbstverwaltung zusammen.
– Sie möchten kooperativ mit Trägern der Jugendhilfe, Städten und Gemeinden, Landesbehörden und anderen externen Stellen zusammenarbeiten.
Dann sollten Sie sich bei uns bewerben!“
Jugendamt Karlsruhe Stadt
Offiziell lautet zwar die Maxime des Sozialen Dienstes „Kinder brauchen beide Eltern – auch nach Trennung und Scheidung“, im Einzelfall muss man aber feststellen, dass Mütter einseitig bevorzugt werden. Es gibt immer noch behördliche Unterstützung von offensichtlich das Recht brechenden Müttern und es fehlen die Denkmodelle, Vätern und Kindern gerecht zu werden.
Die Besetzung der Leitung des städtischen „Kinderbüros“ und dessen Außenwirkung, die auch an dessen Internetpräsenz abgelesen werden kann, zeigt die Mütterorientierung auch in dieser Einrichtung, die doch eindeutig kindorientiert arbeiten müsste.
Sozialer Dienst Mannheim
Als Beistand für einen Vater musste ich Folgendes feststellen:
- Die fachlich wohl fähige Leiterin eines offenen Kindergartens schloss einen türkischen Vater mit Sorgerecht, dessen Frau das Kind zu einer Verwandten entführte, von der Selbstverständlichkeit eines Gespräches monatelang aus, weil sie von der Existenz eines Vaters „nichts wusste“.
- Als die Mutter mit dem Kind „in Urlaub fuhr“ und der Vater wissen wollte, wohin und wie lange der Umgang deshalb ausgesetzt sei, bedeutete ihm der Sachbearbeiter des Sozialen Dienstes, dass ihn dies nichts anzugehen habe.
Beratungsszene Bruchsal
Die Analyse der Bruchsaler Broschüre zu Beratungsangeboten zeigt die einseitige Orientierung auf Frauen und Mütter und die weitgehende Ausklammerung von Vätern. Diese Feststellung ist aber nicht typisch für Bruchsal. Sie ist eher als typisch für die Ausprägung der Beratungslandschaft in der gesamten Bundesrepublik zu erkennen.
- Wir brauchen einen Paradigmenwechsel hin zu einer klaren kindzentrierten Orientierung
Es ist dringend notwendig, sich mit den Bedürfnissen, Sehnsüchten, Ängsten und Wünschen von Kindern unter den Bedingungen der heutigen gesellschaftlichen Realität auseinander zu setzen. Es ist wichtig, ihnen zuzuhören, sich in ihre Situation hinein zu versetzen, um annähernd zu begreifen, zu verstehen und erkennen zu können, was sie wirklich brauchen. Ständiger Kontakt zu Erkenntnissen der Sozialwissenschaften sind unbedingte Voraussetzung jeder Intervention.
Kindeswohl heißt, dem Kind zu dienen. Es heißt u.a., dem Kind eine angemessene und würdige Entwicklung zu garantieren.
Das heißt aber auch nicht nur allein, das Kind eben zu hören, sondern die Einflüsse erspüren zu können, die das Kind momentan in die Lage versetzen, z.B. einen Elternteil abzulehnen, obwohl keine objektiven Fakten dies zwingend erklären.
Das Jugendamt darf sich nicht als Erfüllungsgehilfe der subjektiven und egoistischen Interessen eines Elternteils (meist der Mutter) verstehen, sondern muss Erfüllungsgehilfe der originären Interessen des Kindes sein. Und diese sind immer auf beide Eltern gerichtet.
Kinder haben Rechte, auch wenn diese z.B. in Form der UN-Kinderrechte-Konvention von der BRD immer noch nicht voll umgesetzt sind. Erst zu Beginn des Jahres 2004 ist die BRD wieder international in Verruf geraten, weil ihre Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechte-Konvention immer noch nicht aufgehoben sind.
- Allgemein begnügt sich die deutsche Familienrechtspraxis – vom Jugendamt bis zum BVerfG – mit der Vorgabe von idealistischen Normen. Es wird einfach das Gute im Menschen (das naturgegeben Gute in der Mutter) als Norm vorausgesetzt bei gleichzeitigem Ignorieren einer gegenteiligen Realität. Wenn dann die Realität von der Idealvorstellung abweicht, weist besonders das Jugendamt jede Verantwortung von sich und schiebt sie den Eltern zu, wobei eine Partei (meist eben die der Mutter) einseitig bevorzugt wird bei ignoranter Missachtung der Rechte des Kindes.
Elternpaare trennen sich, weil sie nicht mehr kommunizieren können. Allein die Forderung zu erheben, dass die Partner dann eben Paarebene und Elternebene trennen können müssen, ist sehr theoretisch und idealistisch. In den wenigsten Fällen ist dies in einer akuten Trennungssituation realisierbar. Manchmal nie – auch viele Jahre nach der Trennung.
Jugendämter setzen aber oft voraus, dass diese Kooperation auf der Elternebene funktionieren muss. Ist dies nicht der Fall, weisen sie jede Verantwortlichkeit von sich und bedienen eben oft nur den „kinderbesitzenden“ Elternteil, meist die Mutter, was von der gesamten Frauenförderszene – die ja in weiten Teilen mit der Beratungsszene identisch ist – unterstützt wird.
Die jugendamtliche Intervention ist für den Krisenfall geschaffen und nimmt sich selbst die Existenzberechtigung, wenn sie in der Krise passen muss.
Alle funktionierenden Interventionsmodelle haben gemeinsam, dass sie subtile Druckmechanismen entwickelt haben, die aus unbeweglichen kommunikationsversagenden Eltern kommunizierende Partner zum Wohl ihrer Kinder machen.
In seiner Urteilsbegründung vom 29.01.2003 hat das BVerfG gegen besseres Wissen postuliert: „Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen…“, dass nicht verheiratete Eltern, die das gemeinsame Sorgerecht leben und die Gelegenheit haben, dies auch zu erklären, natürlich diese Gelegenheit auch nutzen. Es wurde hartnäckig ignoriert, dass ein Großteil der Mütter zwar den Vater mit sorgen lässt, das Vorrecht der alleinigen Sorge aber eifersüchtig für sich behält. Wenn vernünftige Elternpaare trotzdem übereinkommen, die gemeinsame Sorge erklären zu wollen, wird die Mutter im Jugendamt in vielen Fällen so lange überzeugt, bis sie einsieht, dass sie im Begriff stand, einen großen Fehler zu begehen. Was das BVerfG also als selbstverständliche Norm voraussetzt, wird in hohem Maß von Müttern selbst und von Jugendämtern boykottiert.
- Die Mütterzentrierung führt bei Verweigerungshaltung von Müttern immer wieder zur achselzuckenden „Kinderlähmung“ des Jugendamtes.
Jugendämter haben stattdessen die Aufgabe, im Interesse der Kinder Standards durchzusetzen, die den Kindern das Recht auf beide Elternteile auch praktisch sichern.
Die Machtbehörde Jugendamt muss auf der Grundlage von Erkenntnissen sozialwissenschaftlicher Forschung dem Wächteramt des Staates Geltung verschaffen, indem es ethische Standards formuliert und deren Realisierung unterstützt. Oft genügt es schon, dem §1684 BGB Geltung zu verschaffen, indem man Mütter darauf aufmerksam macht und ihnen nicht stattdessen das Gefühl gibt, sie könnten ungestraft egoistisch tun, was auch immer sie wollen.
Viele Fallbeispiele in der Fallsammlung des VAfK belegen diese Feststellung nicht nur als gelegentlich vorkommende Variante, sondern als prägnantes Muster, das an vorrangiger Stelle die Kritik von Vätern an der Familienrechtspraxis bestimmt.
- Im Beratungskonzept des Jugendamtes fühlen sich Väter oft nicht angenommen. Wörtliches Zitat aus einem Jugendamt des Bereiches Landkreis Karlsruhe (ein Sachbearbeiter zu einem Vater): „Sie wollen doch, dass es ihren Kindern gut geht? Dann sorgen Sie dafür, dass sich die Mutter wohl fühlt!“
Väter spüren oft unterschwellige Ablehnungshaltung. Ihre Äußerungen werden nicht als Faktum angenommen, sondern in vielen Fällen kritisch interpretiert oder auch als Lüge abgestempelt. Die Äußerungen von Müttern werden statt dessen immer wieder unkritisch als absolute Wahrheit, als Dogma behandelt. Diese Vorgehensweise ist sexistisch diskriminierend und verletzt immer wieder grob die grundrechtlich geschützte Würde von Vätern.
6.
- Dienstleistung statt Eingreifbehörde
- Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung
- Ressourcenorientierung statt Defizitorientierung
- Begleiten, ergänzen, unterstützen statt ermitteln, bewerten, interpretieren, überprüfen, kontrollieren und entmündigen
(vergl. Knappert)
Unter Punkt 4 wird – oberflächlich gesehen – teilweise für das Gegenteil plädiert. Allerdings werden dort 2 Prämissen vorgeschaltet:
- die Orientierung am Kind
- die Einbeziehung aller sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse – frei von ideologischen Überbauten, ob z.B. die Anerkenntnis eines Syndroms schon ein „Syndrom-Syndrom“ bedeutet.
- In den Stellungnahmen von Jugendämtern in gerichtlichen Verfahren zeigt sich oft ein dürftiges Niveau.
Ausbildung und Fortbildung müssen professionalisiert werden.
Die in SGB VIII formulierten Anforderungen an die Stellungnahmen von Jugendämtern werden überwiegend nicht erfüllt. Urteilsbegründungen sind in ihrer Formulierung oft detaillierter und zeugen von mehr entwicklungspsychologischem und pädagogischem Einfühlungsvermögen als das einer speziell dafür geschulten Fachbehörde wie dem Jugendamt eigentlich zugeschrieben werden müsste. Stellungnahmen von Jugendämtern werden dann zur Farce, wenn sie nur noch pro forma eingefordert werden, Richter aber immer wieder mit ihren Urteilsbegründungen die Jugendämter beschämen müssen und offen legen, dass diese ihrem Anspruch in keiner Weise gerecht werden.
Es ist ein Armutszeugnis, wenn Fachtagungen als „Fortbildungsveranstaltungen“ angeboten werden, die auf der Grundlage billigster Polemik argumentieren und z.B. nur dem Zweck dienen sollen, durch die Verknüpfung der Themen „Umgang“ und „Gewalt“ die Kindschaftsrechtsreform von 1998 wieder zurück zu schrauben, die Umstrukturierung der familialen Beratung im Interesse von „kinderbesitzenden“ Müttern (die dem neuen Ideal „Einelternfamilie“ entsprechen) zu verhindern – wie z.B. in Karlsruhe am 13.11.2002 geschehen.
Franzjörg Krieg 20.01.2004