Zur Verbreitungsgeschichte des „Cochemer Weges“ im Raum Karlsruhe
Seit dem Sommer 2005 ist auch im Raum Karlsruhe die Vokabel „Cochem“ bei allen Treffen von Professionen der familialen Intervention nicht mehr zu überhören.
Ich möchte an einige markante Punkte erinnern, die den Beitrag des VAfK zu dieser Tatsache verdeutlichen:
- am 1. und 2. November 2003 fand der 2. Familienkongress des VAfK (Bund) in Halle (immerhin Partnerstadt von Karlsruhe) statt. Thema: Das Recht der Kinder. Referenten: Proksch mit einem Referat zu seiner Studie, JA-Leiter Lengowski und Richter Rudolph zum Cochemer Weg. Beide konnten wir persönlich kennen lernen. Damit startete eine Reihe von Fortbildungsveranstaltungen in der ganzen Bundesrepublik.
- Am 23.06.2004 waren wir vom VAfK Baden-Württemberg zu zweit zu einer Vorsprache im Landesjustizministerium in Stuttgart. Einer der Hauptpunkte: Der Cochemer Weg. Gleichzeitig erfolgte die Planung einer Fortbildungsreihe in den vier Regierungsbezirken BWs.
- Am 08.04.2005 fand die Frühjahrstagung der Interdisziplinären Facharbeitsgemeinschaft Trennung und Scheidung Karlsruhe statt. Wir hatten im Vorfeld dazu unsere Info-Broschüre zum Cochemer Weg aufgelegt, stellten sie auf unserer Homepage ins Netz und verteilten sie erstmals öffentlich kostenlos bei der Frühjahrstagung.
Danach erfolgten Mitte Juli und Mitte September die 4 zentralen Fortbildungsveranstaltungen zum Cochemer Weg in den Regierungsbezirken des Landes. Diese waren so erfolgreich, dass die Bewegung, die dadurch ausgelöst wurde, deutlich zu spüren ist und noch lange nachwirken wird. Wir stehen erst am Anfang einer weitreichenden Umorientierung in der familialen Intervention, die den Kern unserer seit Jahren geübten Kritik betrifft.
Das Landessozial- und Landesjustizministerium Baden-Württemberg organisierte und finanzierte vier Fortbildungsveranstaltungen in den Regierungsbezirken BWs mit je 40 TeilnehmerInnen.
Ich zitiere aus einem Info-Schreiben in Auszügen:
„Die Cochem-Fortbildungen in Stuttgart, Tübingen, Karlsruhe und Freiburg haben für Furore gesorgt. Noch niemals zuvor gab es für Referenten beim baden-württemb. Justiz- und Sozialministerium dermaßen hohe Bewertungen von den Teilnehmern wie bei dieser Fortbildungsreihe….Der Cochemer Rechtsanwalt Theisen, Richter Jürgen Rudolph, JA-Mitarbeiter Manfred Lengowski und Ursula Kodjoe (Freiburg) waren die Referenten und haben diese 2 Tage geleitet. Die Plätze waren überbucht, die Nachfrage also höher als das Angebot.
Eine weitere Veranstaltung gab es Ende September in Heidelberg (Veranstalter: Kinderschutzbund) und am selben Tag waren etwa 80 Rechtsanwälte, alle Richter, gesamtes JA Zollernalbkreis und alle Beratungsstellen anwesend bei einer weiteren Fortbildungsveranstaltung in Balingen….. Vorausgegangen war für die Balinger Veranstaltung die 2-tägige Fortbildung a la Cochem für den Regierungsbezirk Tübingen. Bei diesen 2-tägigen Veranstaltungen bildeten sich mehrere Arbeitskreise. Der Balinger AK war besonders aktiv, sie baten, dass die Cochemer noch mal kommen sollten, damit noch mehr Fachkräfte in den Genuss dieser Arbeitsweise kommen. Das ist gelungen. Mit dabei waren auch Sigmaringer, Tübinger, Albstädter und Hechinger Fachkräfte.“
Ich konnte inzwischen bei Gerichtsterminen und in Gesprächen mit Vertretern der Professionen feststellen, dass diese erste Fortbildungsserie auch hier im Karlsruher Umfeld schon konkrete positive Auswirkungen hat. Es gilt nun, diese Ansätze zu unterstützen. Wir vom VAfK können dabei als Partner fungieren und die Bereitschaft, uns einzubeziehen, wächst.
Am 07.11.2005 war in Karlsruhe eine Vortragsveranstaltung mit zwei Vertretern aus Cochem.
Mein Redebeitrag aus dem Plenum:
„Ich verdiene meinen Lebensunterhalt nicht in der Trennungsbegleitung, habe deshalb einen etwas anderen Blickwinkel und kann auch etwas anders formulieren.
Sie, Herr Fischer, haben vorhin gesagt, in Karlsruhe sei alles vorhanden. Was fehlt, wären die regelmäßigen Treffen. Das ist ein formaler, ein struktureller Hinweis. Vorrednerinnen und Vorredner haben das relativiert. Sie haben den Erfolg der bestehenden Vernetzung im Rahmen der Interdisziplinären Facharbeitsgemeinschaft durch die regelmäßigen Treffen 2 mal jährlich im Caritas-Waldheim gelobt.
Ich habe erlebt, dass trotz dieser Vernetzung
- Anwälte weiterhin mehr oder weniger Waffenlieferanten in Krisengebiete darstellen
- Richter immer wieder Verlierer und Gewinner küren, wobei die Kinder immer auf der Verliererseite stehen
- dass Kinder nicht davor bewahrt werden können, als Folge von Trennungsauseinandersetzungen therapiebedürftig zu werden und
- dass Beratungsstellen immer wieder vor egomanischen Kinderbesitzern und Kinderbesitzerinnen kapitulieren.
Was wir an dieser Stelle brauchen, ist kein strukturelles, sondern ein inhaltliches Element. Sie, Herr Schalla, haben vorhin das Stichwort geliefert: Eine Ethik. Wir müssen uns konsensual auf eine Zielvorstellung einigen. Wenn wir eine solche formulieren, müssen wir uns keine Gedanken mehr über den Weg machen. Sie, Herr Fischer und Herr Aydin haben als Vertreter der Cochemer Praxis Mühe, zu erklären, wie der Weg in Cochem nun im Detail aussieht, weil dieser eben nicht statisch ist, sondern sich weiter entwickelt und nur an der Verwirklichung einer Zielvorgabe gemessen werden kann.
In der Verpflichtung auf ein gemeinsames Ziel liegt auch eine Aufgabe an die Rolle der Mediation im Trennungsgeschehen: Man kann nicht nur eine wertfreie Kommunikations-Plattform bieten, die nach Belieben benutzt und missbraucht werden kann. Auch Mediation muss sich einer Ethik verpflichtet fühlen.
Die wichtigste Aufgabe der kommenden Treffen wird sein, diese notwendige allgemein verbindliche Ethik zu formulieren.“
Zur Rezeption des „Cochemer Weges“ im Raum Karlsruhe
In den Veranstaltungen der familialen Interventionsszene im Raum Karlsruhe, in denen in letzter Zeit unter dem Schlagwort „Cochem“ eine Neuorientierung der Vorgehensweisen diskutiert wurde, konnte ich Beobachtungen zur Rezeption der referierten Vorgaben aus Cochem machen, die mir den Eindruck vermittelten, dass manchmal haarscharf am Problem vorbei argumentiert wurde. Ich möchte einige Beobachtungen aufgreifen und den Versuch unternehmen, mit Muße zur Argumentation auf diesem Weg in die Diskussion einzugreifen, was im Rahmen einer Veranstaltung nur rudimentär geschehen kann.
Bei der Herbsttagung der Interdisziplinären Facharbeitsgemeinschaft Trennung und Scheidung am 18.11.2005 in Karlsruhe sprach ich vom „subtilen“ Zwang, der bei der Cochemer Vorgehensweise von allen das Trennungsgeschehen begleitenden Aktoren konsensual auf die sich trennenden Eltern ausgeübt wird. Immer wieder wurde „subtil“ mit „sanft“ übersetzt oder damit gleichgestellt. Ich versuchte zu vermitteln, dass ich in diesem Fall zwischen „subtil“ und „sanft“ einen entscheidenden Unterschied sehe.
„Sanfter“ Druck bedeutet eine sehr verhaltende Einwirkung, die auch dann wieder zurück genommen wird, wenn sie auf Gegenwehr stößt. Unter „subtilem“ Druck oder Zwang verstehe ich im Kontext mit dem Cochemer Weg aber einen an einer festen Zielvorgabe orientierten Problemlösungsprozess, der in der Zielorientierung entschieden, in der Wahl der Mittel aber subtil ist.
Zunächst müssen sich alle am Trennungsgeschehen beteiligten Professionen und Beratungsinstitutionen auf eine gemeinsame Zielvorgabe verständigen. Was wollen alle mit ihren Bemühungen erreichen?
Das Hauptziel muss etwa wie folgt umrissen werden:
Beiden Eltern muss ihre Verpflichtung zur konsensualen Zusammenarbeit im Interesse der Kinder bewusst sein. Sie müssen erkennen, dass sie dies in der Trennungssituation den Kindern schulden und dass sie nicht die Chance haben, auszuweichen.
Bei der Veranstaltung in der Psychologischen Beratungsstelle am 07.11.2005 meinte eine Anwesende aus dem Plenum, dass die beteiligten Protagonisten in Cochem ja schließlich 15 Jahre gebraucht hätten, um einen Lösungsweg zu finden. Unter diesen Voraussetzungen müsste es nicht verwundern, wenn wir hier in Karlsruhe mindestens so lange brauchen würden. Diese Fachfrau wollte nicht erkennen, dass in Cochem schon SEIT 15 Jahren so vorgegangen wird und dass die offensichtlichen Erfolge schon seit vielen Jahren zu beobachten sind. Die Interpretationsweise ließ darauf schließen, dass die von der Diskutantin vertretene Institution ihre mütterzentrierte Vorgehensweise in Gefahr sieht und möglichst lange konservieren möchte. Wenn die berufliche Orientierung auch noch verknüpft ist mit ideologischen Sichtweisen durch Inhabe einer Funktion innerhalb der Frauenförderszene, muss nicht verwundern, wenn hartnäckig missverstanden werden möchte.
Bei einer anderen Veranstaltung meinte eine Vertreterin einer Beratungseinrichtung, dass der Prozentsatz von hoch problematischen Trennungen mit Kindern so gering sei, dass deshalb kein Bedarf an Lösungswegen im Sinne des Cochemer Weges bestehen würde.
Es wurde die Aussage, dass ein Lösungsweg, der dem Cochemer Modell nahe steht, die Möglichkeit bietet, sogar hoch strittige Fälle zu lösen, missverstanden und es wurde interpretiert, dass man deshalb eine Vorgehensweise a la Cochem nur für strittige Fälle brauchen könne.
Dabei ist der Cochemer Weg viel mehr: Er erfordert für manche Personen innerhalb der familialen Interventionsszene einen völligen Wandel der Vorgaben – einen Paradigmenwechsel. Die „Frauen für Frauen“-Landschaft dürfte mit diesem Wechsel wohl die größten Probleme haben. Es geht nicht mehr darum, wem von zwei Erwachsenen man im Kampf ums Kind Vorteile verschafft, sondern dass beide gleichermaßen in ihre Verantwortung als Elternteil einbezogen werden. Manche meinen, dass diese Balance-Situation die Gefahr bergen würde, dass Mütter um ihre inzwischen eingefahrenen Vorteile gebracht werden könnten. Tatsächlich sind aber viel mehr Eltern von sich aus zu eigenen vernünftigen Lösungen bereit, wenn ihnen signalisiert wird, dass es keine Chance gibt, einen Elternteil auszubooten oder Macht gegen den Elternteil auszuüben, bei dem sich das Kind nicht überwiegend aufhält.
Hin und wieder erkennt man an der Handlungsweise einer Person, dass sie an der 3-tägigen Fortbildungsveranstaltung zum Cochemer Weg teilgenommen hat. Und man erkennt auch manchmal, dass die Vorgehensweise (noch) nicht in allen Konsequenzen verinnerlicht wurde. Wenn z.B. ein Familienrichter im Verlauf der Verhandlung nur auf Beschwichtigung aus ist und immer noch eine Mutter bedient, die trotz anders lautender gerichtlicher Vereinbarungen seit 5 Jahren erfolgreich verhindern konnte, dass das Kind beim Vater übernachtet, wenn er meint, dass dann eben mit vertrauensbildenden Maßnahmen ein weiteres Mal versucht werden müsste, die Mutter umzustimmen, dann kann er die Bemühung um das Kind nicht verstanden haben, die Cochem ausmacht. Wenn er nach weiteren Bemühungen um eine Lösung am Ende einer langen Verhandlung diese aber nicht abschließt, sondern den Fall mit einer konkreten Aufgabenstellung an die Mediation weiter reicht und signalisiert, dass er kurzfristig einen weiteren Termin ansetzen wird, wenn einer der beiden Elternteile mit der weiteren Entwicklung nicht einverstanden ist, dann hat er sich wenigstens einen formalen Aspekt der Vorgehensweise zu eigen gemacht. Wie sich inzwischen heraus gestellt hat, war schon diese Taktik erfolgreich: Das Kind konnte im Alter von 5 ½ Jahren zum ersten Mal beim Vater übernachten.
Sicher ist: Die Karlsruher Szene ist in Bewegung gekommen. Es wird erkannt, dass es bessere Lösungen geben muss als die, die viel zu lange als richtig angenommen wurden. Und es wird diskutiert. Allein das ist schon ein großer Fortschritt.
Die Kreisgruppe Karlsruhe des Väteraufbruch für Kinder ist in ihrem 5. Jahr aktiv im Beratungsgeschehen der Region verankert und ist mit über 100 Neufällen pro Jahr weit über den Horizont einer Betroffenen-Organisation hinaus gewachsen.
Wir respektieren selbstverständlich den Unterschied zwischen Selbsthilfe-Organisation und Profession, bescheiden uns gerne mit unseren Grenzen, bieten uns aber wo möglich als Partner an.
Wenn Mütterorganisationen das alleinige Sorgerecht für Mütter propagieren, sehen wir Väter uns nicht veranlasst, als Interessenorganisation von Vätern mit einer gleichwertigen Forderung zu kontern. Wir sehen das alleinige Sorgerecht beim Kind, das ein Anrecht hat auf das Umsorgtwerden von beiden Elternteilen. Nur dies wird den ureigenen Bedürfnissen eines Kindes auch gerecht. Außerdem suggeriert unser Name, dass wir nur für Väter zuständig seien. Da es aber außerhalb des Väteraufbruch keine bundesweite Organisation gibt, die sich Fragen von Sorgerecht und Umgang so zu eigen macht wie wir, zeigt unsere Geschichte, dass sich bei uns auch von Umgangsbehinderung betroffene Mütter, von der Problematik betroffene „Zweit“-Frauen (Partnerinnen eines betroffenen Trennungsvaters) oder Großmütter betreut und zuhause wissen, die nach einer Trennung ihre Enkel nicht mehr sehen.
Im Sinne der Kinder möglichst optimale Lösungen zu finden, ist unser Ziel. Mit diesen Lösungen sind wir Väter auch meist zufrieden stellend bedient.