Vorgeschichte:
Nach einer Trennung mit zwei Söhnen wohnen diese bei der Mutter und der Vater hat regelmäßigen Kontakt zu den beiden Kindern. Sechs Jahre lang bindet die Mutter den Vater umfassend ein, wozu auch gemeinsame Aktionen zu Festtagen und Feierlichkeiten gehörten.
Als die Mutter im Rahmen eines Wechsels von Arbeitsplatz und Wohnung in einem Schreiben an den Vater zum ersten Mal das Thema Unterhalt anspricht, reagiert der Vater entrüstet und startet ein Programm zur Umpolung der beiden Söhne auf den Hauptaufenthaltsort bei ihm. Dies beinhaltet lustvoll inszenierte Rap-Texte, in denen der umgedrehte Vorname der Mutter verarbeitet und mit Texten wie „Wir werden Dich besiegen, Arschgesicht!“ garniert wird.
Stellungnahme zum Bericht des VB
Aus den Empfehlungen des VB vom 14.05.2020 an das Gericht:
„Wenn man sich vor Augen hält, dass [Sohn 2] inzwischen 13 Jahre und [Sohn 1] inzwischen 15 Jahre alt ist, so ist schon aus Rechtsgründen eine Installation des Umgangs gegen den Willen der Kinder nicht geboten oder möglich. Aber auch in der Sache kann ich die feste Einrichtung einer Umgangsregelung nicht empfehlen. Sie widerspricht dem ausdrücklich geäußerten Willen der Kinder. Sie würde auch der Empfehlung der Beratungsstelle widersprechen. Aus meiner Sicht haben die Kinder bei Installation eines Umgangs gegen ihren Willen keinerlei Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Es kommt dabei nicht unbedingt entscheidend darauf an, worin die jetzige Haltung der Kinder ihren Ursprung hat. Frau W. hat es mir gegenüber so formuliert, dass die Kinder sich dahin retten, nur Kontakt mit dem Vater, bei dem sie leben, zu haben, um Ruhe zu finden.
Solange die Kindesmutter nicht akzeptiert, dass die Wünsche der Kinder zu respektieren sind, ist hier auch kein Fortschritt zu erwarten.“
Rein familienrechtspraktisch betrachtet ist diese Einschätzung des VB üblich und akzeptiert.
Von einem übergeordneten Blickwinkel aus gibt es dazu aber zwei wichtige Kriterien, die unbeachtet bleiben:
- Die Unterordnung aller Methoden und Kriterien unter das Diktat der Sicherung des Residenzmodells
Alle Bewertungen geschehen vor dem Hintergrund des staatlich verordneten Machtgefälles bei der Spaltung der Eltern in einen Verfügungsmacht innehabenden und dabei allseits hofierten Elternteil, dem zugestanden wird, seine Verfügungsmacht als Verfügungsgewalt zu missbrauchen und einen „umgangsberechtigten“ und „zahlungspflichtigen“ Elternteil, dem alle negativen Konsequenzen und alle Schuld an entstandenen Widerwärtigkeiten zugeordnet werden. Wenn Kinder die Befindlichkeiten des Verfügungsmachtinnehabenden wiedergeben, wird ihnen eine Bedeutung zugemessen, deren Tragweite sie objektiv nie verantworten können. Die Übertragung der Verantwortung für eine Lösung an Kinder, deren „ausdrücklich geäußertem Willen nicht widersprochen werden darf“ und „deren Wünsche zu respektieren sind“, ist eine Standardhandlung der familialen Intervention bei der Bedienung und Sicherung des Residenzmodells.
Niemand würde auf die Idee kommen, einen 13-Jährigen morgens um 7 Uhr zu fragen, ob er heute in die Schule gehen oder lieber im Bett bleiben möchte, weil der die Verantwortung für sein Handeln nicht zu tragen in der Lage ist. Derselbe 13-Jährige darf aber mit seinen „Wünschen“ über sein und das Schicksal seiner Eltern entscheiden, wobei es „dabei nicht unbedingt entscheidend darauf an[kommt], worin die jetzige Haltung der Kinder ihren Ursprung hat.“
Eine solche Abweisung der eigenen Verantwortung der Professionen auf ein Kind gehört zum gängigen Repertoire der familialen Intervention und wird nie hinterfragt. Dabei ist es genuin Kindesmissbrauch.
Dazu gehört auch, dass die Dominanz eines Kindes über das Schicksal eines Elternteils im Interesse der Kürung eines Verfügungsmachtinhabenden nicht nur hingenommen, sondern sogar bewusst inszeniert wird. „Willst Du Deinem Papa (Deiner Mama) nicht nochmals eine Chance geben?“ ist eine immer wieder zu hörende Frage an Kinder durch das Jugendamt, durch den Verfahrensbeistand, in der Beratung oder gar durch das Gericht. Dass das Kind dabei durch die Antwort nicht nur unbewusst einer politisch korrekten Ideologie dient, sondern oft über das Lebensschicksal eines Elternteils entscheidet, ist gängige Fehlleistung in der familialen Intervention.
- Das völlige Erziehungsversagen der familialen Intervention
In diesem Trennungsfall hat der Vater die Abwertung der Mutter zusammen mit seinen beiden Söhnen regelrecht lustvoll inszeniert. Wenn man die Rap-Texte liest, die alle drei Personen zusammen mit Genuss gefeiert und kommentiert haben, muss jedem für Erziehung Verantwortlichen die Luft wegbleiben. Der Vater hat nicht nur hingenommen, dass seine Söhne die Abwertung der Mutter feierten, sondern er dirigierte dieses Vorgehen. Dieses Verhalten drückt nicht nur völliges Erziehungsversagen aus, sondern ist im Kern sadistisch und dient allein einer narzisstischen Orientierung. Kinder in der Verächtlichmachung eines Elternteils zu unterstützen und sie sogar dabei anzuleiten, einen Teil ihrer eigenen Identität abzuwerten, ist Kindesmissbrauch.
Dabei denke ich nicht nur an das Verhalten des Vaters. Die gesamte Professionalität von SozialPÄDAGOGINNEN und sonstigen Professionen im System versagt völlig bei der Berücksichtigung pädagogischer Aspekte.
Dieses Totalversagen des Systems ist für mich in diesem Fall der wichtigste Aspekt neben der Behandlung eines Trennungsfalles.
Die gesamte Problematik im Interesse des „Zur-Ruhe-Kommens“ auf „Umgang“ zu reduzieren, beweist, dass wir in Deutschland nicht mehr in der Lage sind, mit Kindern angemessen umzugehen. Wir opfern unsere Kinder einer staatlich verordneten Ideologie in der Behandlung von Trennungsschicksalen in der familialen Intervention.
Deshalb bestimmt nicht mehr das Entsetzen aller Beteiligten beim Lesen der vorliegenden Texte, sondern die Verurteilung der Mutter als Überbringerin der schlechten Nachricht, weil sie über das Handy eines Kindes an diese Texte kam. Das „Schau hin!“ als Hinweis in den Medien und auf Plakaten an alle Eltern wird plötzlich zum Verbrechen an den Persönlichkeitsrechten des Kindes. Alle Professionen erfasst im Kontext Trennungsintervention Kinderlähmung, wenn sie pädagogisch denken und handeln sollen.
Das Jugendamt schrieb hierzu:
„Die Mutter las mir Passagen aus einem SMS-Verkehr zwischen [Sohn 2] und seinem Vater vor. Trotz meiner mehrmaligen Bitte, damit nicht weiter fortzufahren, las sie immer weiter.
Die Weitegabe dieser persönlichen Dinge des Kindes stellt einen erheblichen Vertrauensbruch dar, dessen Folgen aus meiner Sicht nicht absehbar sind.
Aus den Empfehlungen des VB:
„Die Kinder lassen immer wieder anklingen, dass die Umgangskontakte zur Mutter von dieser genutzt werden, um Druck auszuüben, Streitfragen zu klären und eben gerade nicht dazu, um schöne Zeit zu verbringen. Solange dieser Modus anhält, kann der Umgang keine guten Ergebnisse bringen.“
Der Anspruch von Kindern an ein abgewertetes Elternteil und die Bedeutung der Beurteilung eines Kindes über ein Elternteil dürfte nie von Professionen instrumentalisiert werden – ist aber gängige Vorgehensweise. Natürlich ist die Gestaltung von Umgang durch den „Umgangsberechtigten“ immer der Beurteilung durch den verfügungsmachtinhabenden Elternteil und durch das Kind unterworfen. Seine Aufgabe ist, „sich in regelmäßigen Abständen vom Entwicklungsfortschritt seines Kindes augenscheinlich zu überzeugen“ und ansonsten den „Umgang“ so zu gestalten, dass dieser den Bewertungen durch das Kind standhalten kann. Dass die Bewertungen des Kindes immer auch Resonanzen der Befindlichkeit des Verfügungsmachtinhabenden sind, interessiert nicht, weil es eben „dabei nicht unbedingt entscheidend darauf an[kommt], worin die jetzige Haltung der Kinder ihren Ursprung hat.“
Aus den Empfehlungen des VB:
„Zuletzt auch die Aktion um die Mobiltelefone, die wohl ursprünglich im Eigentum der Kinder standen und die [Sohn 1] nach seiner Darstellung nicht böswillig mitgenommen hat, zeigt auch ein erhebliches Misstrauen der Mutter gegenüber den Kindern.“
Diese Handys (Samsung Galaxy A3) wurden ursprünglich von der Mutter den Kindern geschenkt. Als die Kinder zum Vater wechselten, gaben sie diese an die Mutter zurück mit der Aussage: „Wir brauchen Deine Scheiß-Handys nicht, der Papa kauft uns sowieso alles neu!“
Die Konzentrierung des VB allein auf ein von ihm gewähltes Deutungsmonopol der Kinder zeigt dessen Einordnung in ein versagendes Systems.
Wenn ein Jugendlicher nach einer solchen Aktion ein Handy bei der Mutter einfach wieder mitnimmt (entwendet), ist dies evtl. nicht böswillig. Dass er aber selbst nicht erkennt, dass seine Aktion eine Übergriffigkeit darstellt, beweist das erzieherische Versagen, das eine solche Handlung als völlig normal bewertet.
Die dabei mitverbundene Täuschungsabsicht von [Sohn 1] zeigte sich darin, dass er beide Handys aus den Hüllen genommen hatte und die Hüllen am ursprünglichen Platz liegen blieben.
Eine Schuld aber allein dem entsorgten Elternteil zuzuweisen, entspricht politisch korrekter Ideologie.
Siehe auch DIESEN Artikel.