Unter der immer noch herrschenden Doktrin des „Residenzmodells“, in dem das Kind immer einem „kindesbesitzenden“ Elternteil zugewiesen wird und der zweite „abwesende“ Elternteil weitgehend marginalisiert und für die alleinige Alimentierung missbraucht wird, ist die Aufgabe des Verfahrensbeistandes nach §158 FamFG immer wieder auch ein Kampf gegen die Windmühlenflügel einer politisch korrekten Vorgehensweise in der deutschen Familienrechtspraxis.
Es ist verpönt, die Dinge beim Namen zu nennen. Natürlich geben sich Elternteile mit „Hauptaufenthaltsort“ immer wieder auch als Besitzende des Kindes und verfügen selbstherrlich über alles, was das Kind betrifft. Und solange wir das Residenzmodell umzusetzen haben, wird eine solche Verhaltensweise auch weiterhin politisch und familienrechtspraktisch bedient und hofiert. Dazu gibt es Belege bis hoch zu Entscheidungen des BGH.
Der Verfahrensbeistand hat die Aufgabe, „Anwalt des Kindes“ zu sein. Und – darin sind sich alle einig – es ist ein Grundelement des Anspruchs eines jeden Kindes, nach einer Trennung der Eltern BEIDE Eltern behalten zu dürfen und von ihnen betreut zu werden. Solange eine solche Aussage aber immer noch begleitet sein muss von einem „Ja, ABER nur soweit, wie die egoistische Befindlichkeit des kindesbesitzenden Elternteils dies zulässt!“, ist der Verfahrensbeistand immer wieder auch nur Feigenblatt einer fehlgeleiteten Familienpolitik.
Im Kern handelt der ideologische Streit um die Aufgabe des Verfahrensbeistandes darum, ob es seine Aufgabe ist, den subjektiven geäußerten Willen des Kindes ins Verfahren einzuführen oder ob er hinter dem situativ geäußerten – eventuell beeinflussten – Willen des Kindes dessen objektives Interesse zu vertreten hat.
Um ein griffiges Beispiel zu wählen:
Wenn ein 9-jähriges Kind morgens beim Wecken sagt: „Ich habe heute keinen Bock auf Schule und bleibe im Bett!“, ist dann der situativ geäußerte Wille des Kindes handlungsleitend für seine Eltern oder müssen diese hinter diesem subjektiven Kindeswillen dessen objektives Interesse erkennen und das Kind gegen seinen Willen trotzdem in die Schule schicken?
Meist besucht ein Verfahrensbeistand das Kind bei dem Elternteil, bei dem es wohnt. Dieses Elternteil hat alle Möglichkeiten, das Kind vor dem angekündigten Besuch des Verfahrensbeistandes zu konditionieren (um die Begriffe instrumentalisieren oder manipulieren zu vermeiden). Das Kind hat dann keine andere Möglichkeit, z.B. die Mutter, die bei der Anhörung des Kindes im Kinderzimmer in der Küche sitzt und nach dem Weggang des Verfahrensbeistandes das Kind fragt, was es alles gesagt hat, zu bedienen. Solche Abläufe werden meist nicht hinterfragt und aus finanziellem Interesse wird der Check über die Anhörung des Kindes beim Vater unterlassen.
Die Einführung des Instituts „Verfahrensbeistand“ mit dem FamFG im Jahr 2009 war richtig. Und ich erlebe Verfahrensbeistände immer wieder als hilfreich und wichtig.
Das ist auch nicht verwunderlich.
Was hat das Gericht als Grundlagen eines Meinungsbildes zur Verfügung?
– Zerstrittene Eltern, die zumindest partiell unzurechnungsfähig und nicht erziehungsfähig sind
– Fachanwälte, die den Elternkonflikt anfeuern und eskalieren, weil sie eben daran ganz gut verdienen
– das Kind, das immer völlig überfordert und meist vom kindesbesitzenden Elternteil instrumentalisiert ist
– die Stellungnahme des Jugendamtes, die nach kurzer Momentaufnahme mit den Eltern aus dem Schreibtischsessel heraus formuliert ist und meist die tatsächliche Situation nicht im Ansatz begreift
– vielleicht sogar ein Sachverständiger, der als Prof. Dr. Alleswisser jeden zu entscheidenden Blödsinn auch noch scheinwissenschaftlich begründet
Wenn dann ein Verfahrensbeistand als Einziger die Eltern und das Kind in ihrer ureigenen Umgebung erlebt hat und evtl. mit weiteren Personen aus der Umgebung des Kindes Kontakt aufgenommen hat, weiß dieser weit validere Fakten zu berichten als der gesamte fachjuristische oder sozialpädagogische Unsinn zulässt, dem immer wieder in den Verfahren begegnet werden muss.
Als Verfahrensbeistand muss ich mir in einem immer noch pervertierten System von Adelung des Kindesbesitzes immer bewusst sein, dass ich nur eine bessere von den schlechten Möglichkeiten anbieten kann.
Es sei denn, ich habe das Urbild einer Hausfrauenehe vor mir, in der sich die Mutter immer als Hüterin von Wohnung und Kind und der Vater als Alleinverdiener und Versorger verstanden hat und auch weiter so verstehen will.
Dann passt unser System und meine Aufgabe.
In einer Zeit, in der aber Eltern schon von sich aus – bei ausreichender Intelligenz und Vernunft – besser balanciertere Modelle leben und dem Gesetzgeber zeigen, was eigentlich seine Aufgabe zu sein hätte, muss der Verfahrensbeistand mit Beschränkungen leben und auch immer wieder mutig sein.
In allen Fällen, in denen Familiengerichte inzwischen in Deutschland ein Wechselmodell gegen den Wunsch eines Elternteils beschlossen haben, waren diese Beschlüsse durch das Votum von Jugendamt und Verfahrensbeistand vorbereitet.
Manchmal geht auch das Unmögliche.
Ist es aber Aufgabe der Professionen, der Politik zu zeigen, wo sie seit Jahren schlampt und sich den Eingebungen mächtiger Lobbygruppen andient?
Zum Schluss noch einige Anmerkungen zur Bezahlung von Verfahrensbeiständen.
Ein VB wird pro Aktenzeichen und Kind mit einer Pauschale bezahlt.
Diese beträgt aktuell 350 Euro für die Aufgabe, nur mit dem Kind Kontakt aufzunehmen und 550 Euro für die Aufgabe, auch mit Personen aus dem Umfeld des Kindes Kontakt aufzunehmen.
Oft betätigen sich Anwälte zusätzlich als Verfahrensbeistand. Gerade von Anwältinnen ist diese Praxis üblich. Als Anwalt rechne ich mit 200 Euro Stundenlohn. Wenn ich aber als Verfahrensbeistand über die Pauschale nur auf 20 Euro Stundenlohn komme, ist damit gerade einmal der Mindestlohn gesichert, meine Geschäftsräume sind nicht bezahlt und ich kann mir keine Sekretärin leisten.
Es muss also nicht verwundern, wenn sich Verfahrensbeistände nicht sonderlich engagieren und alles, was den Stundenlohn drücken würde, vermeiden.
Der Besuch des Kindes im Zuhause des Vaters wäre also kontraproduktiv.
Gut, über die Mischkalkulation rechnet sich das wieder. Ein Fall mit 2 Kindern in 3 Aktenzeichen (zwei Instanzen) bringt dann mit nicht viel Mehraufwand das 6-Fache – aber nur, wenn ich mir auch dann kein Bein ausreiße und nur das Nötigste mache. Ich will ja davon möglichst gut leben können…
Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Ausschluss eines Verfahrensbeistandes:
Einen im laufenden Verfahren bestellten VB loszuwerden, ist fast unmöglich. Dazu müsste er z.B. das Kind auf offener Straße verprügeln.
Nach Ende eines Verfahrens kann man dem Gericht aber mitteilen, warum man diesen VB in einem künftigen Verfahren nicht mehr bestellt haben möchte. Das sollte aber mit mehr als nur der Zerstörung der Vertrauensbasis begründet werden. In einem System, in dem es immer einen Verlierer gibt, will dieser am Liebsten alle Beteiligten ausgewechselt haben. Das würde unser System kollabieren lassen.
Also: Den Auschluss einer Person aus dem Reigen der verantwortlichen Professionen in einem Verfahren immer sehr ausführlich und klar begründen!