Zur Dokumentation der ersten Tagung zu diesem Phänomen in Deutschland
Presseinformation
Abschlussbericht zur internationalen Konferenz:
„Das Parental Alienation Syndrome (PAS) –
Eine interdisziplinäre Herausforderung für scheidungsbegleitende Berufe“
- und 19. Oktober 2002 in Frankfurt am Main
Impulse für die Forschung
Alles kann man kaufen, außer einer Mutter und einem Vater (Tamilisches Sprichwort)
In einer Zeit der freien Beziehungsgestaltung, von Feminismus, Single-Idealen und Alleinerziehenden-Kult gewann das Sprichwort im Rahmen der ersten internationalen Tagung über das Parental Alienation Syndrome (PAS) in Deutschland neue Aktualität. Vom 18. bis 19. Oktober 2002 fand im Frankfurter Maritim Hotel unter der Leitung des Würzburger Psychiaters Wilfrid von Boch-Galhau die mit rund 300 Teilnehmern gut besuchte Tagung statt, die sich mit dem Phänomen der elterlichen Entfremdung nach Trennung und Scheidung bei Kindern befasste.
Aus den USA kamen Richard Gardner, der Begründer der neuen Störungskategorie, die 2010 in das amerikanische Diagnosemanual DSM-V aufgenommen werden könnte, begleitet von den beiden klinischen Psychologen und PAS-Spezialisten Richard Warshak und Christopher Barden. Ihren Vorträgen lagen Fallstudien und langjährige Erfahrungen mit Familienmitgliedern von PAS-Opfern zugrunde.
Aus 16 Ländern reisten verschiedene Berufsgruppen an, die einerseits die Brisanz, aber auch das breite Spektrum der Problematik aufzeigten. Sowohl Psychologen, Psychotherapeuten, (Kinder-) Psychiater, als auch Richter, Gutachter, Sozialarbeiter bis hin zu Pädagogen, Allgemein- und Kinderärzten entwickelten in diesen zwei Tagen einen spannenden Austausch, bei dem die Kompetenz der einzelnen Spezialisten, aber auch der interdisziplinäre Aspekt des Themas „Trennungskinder“ gemeinsamer Focus blieb. Außergewöhnlich für eine Fachtagung war die Teilnahme von betroffenen Müttern, Vätern, Großeltern und erwachsenen Scheidungskindern, die engagiert die Gespräche bereicherten und die theoretischen Aspekte des PAS in eine reale Welt der Qual mit Jugendämtern, Gerichten und menschlichen Dramen rückten. Durch die Teilnahme der Betroffenen und die sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema ergaben sich lebendige, konzentrierte Gespräche und Begegnungen, die geeignet sind, der Forschung zum Problemfeld PAS neue Impulse und der familiengerichtlichen Praxis wichtige Anregungen zu geben.
Entfremdung und emotionaler Missbrauch
Gardner bezog sich in seinem einleitenden Übersichtsvortrag auf sein grundlegendes Werk „Parental Alienation Syndrome. A Guide for Mental Health and Legal Professionals“. Für ihn handelt es sich bei PAS um einen Untertyp von elterlicher Entfremdung, die durch das gezielte, gelegentlich auch unbewusste Beeinflussen eines Kindes gegen den anderen Elternteil charakterisiert ist. Typisch für PAS-Kinder ist die irrationale Ablehnung eines Elternteils mit teils absurden Argumenten, fehlender natürlicher Ambivalenz gegenüber beiden Eltern und teilweise wörtlicher Übernahme von Formulierungen und Einstellungen des entfremdenden Elternteils, ohne dass tatsächlich negative Erfahrungen gemacht wurden. Auch Warshak sprach von Gehirnwäsche, Programmieren und einer Stereotypisierung beim Kind. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine Form von emotionalem Missbrauch handele. Christopher Barden, Lena Hellblom-Sjörgren und Astrid Camps betonten die konfliktverschärfende Rolle von (Gefälligkeits-) Attesten – insbesonders von Kinderärzten- und -psychiatern – die zum Beispiel entfremdenden Eltern attestieren, dass Aggressivität oder psychosomatische Reaktionen der Kinder vor und nach Besuchskontakten den Einwirkungen des Umgangs-Elternteils zuzuschreiben seien.
Hilfe für entfremdete Kinder
Durch ihr persönliches Schicksal als Opfer innerhalb der PAS-Problematik beeindruckte die Begründerin der Rachel Foundation Pamela Stuart-Mills-Hoch. Sie verlor ihre vier Kinder und musste den Leidensweg elterlicher Entfremdung anfangs hilflos erdulden, konnte später mit Unterstützung von Gardner und Warshak wieder Kontakt zu ihren Kindern aufnehmen. Zunächst hatte sie jegliche elterliche Autorität über ihre Kinder verloren. Bei den ersten Treffen wurde sie verprügelt und als ‚Hure’ und ‚Ratte’ bezeichnet. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Robert Hoch entwickelte sie später kämpferisches Engagement zur Reintegration hochgradig entfremdeter Kinder. Fallvorstellungen von erwachsenen Scheidungskindern, betroffenen Eltern und Großeltern unterstrichen die Problematik. Der Bielefelder Psychologe Uwe Jopt wies darauf hin, dass PAS keine vorübergehende Erscheinung sei, sondern dass oft auch nach 10 bis 15 Jahren noch keine Veränderung in der Aggressivität und Ablehnung eines Elternteils bei den entfremdeten Kindern festzustellen sei. Solange diese Menschen keine professionelle psychologische Unterstützung bekommen, bleiben ihnen befriedigende Liebesbeziehungen häufig verwehrt. Beziehungsabbruch wird zum Weg der Konfliktlösung. Das eigene Schicksal kann an die nächste Generation weitergegeben werden.
Juristische Fehlentscheidungen
Skandalöse Fehlentscheidungen nationaler und internationaler Gerichtshöfe aufgrund mangelnder Kenntnis des PAS-Phänomens skizzierte der Rechtswissenschaftler Kurt Ebert aus Innsbruck. Er berichtete von Eltern, denen ohne nachvollziehbaren Grund der Umgang mit ihren Kindern nur einmal im Vierteljahr unter Aufsicht von Sozialarbeitern gestattet wurde. Weiterhin sagte Ebert, dass es zwar Rechte für Frauen, Rechte für Männer und Rechte für Kinder gebe, aber keine Rechte für Familien, die auf völkerrechtlicher Ebene anerkannt seien. Er zitierte aus dem Völkerrecht: “Die Familie ist die Kernzelle der staatlichen Gesellschaft.“ Diese sei – auch unter menschenrechtlichen Aspekten – elementar zu schützen.
Die Richter Harald Schütz und Franz Weisbrodt wiesen darauf hin, dass das Kindeswohl nicht zu verwechseln sei mit dem, was allein das Kind „wolle“, sondern was zu seinem „Wohle“ sei. Niemand würde zum Beispiel einem Kind den notwendigen Schul- oder Arztbesuch ersparen, wenn es dazu gerade keine Lust habe. An diesem Punkt schalteten sich PAS-Kritiker ein, welche die Psychodynamik der kindlichen Willensbildung stärker berücksichtigt sehen möchten, auch wenn beim Kind schon eine gezielte Entfremdung in Gang gesetzt wurde. Der Psychoanalytiker Helmuth Figdor trug hierzu mehrere Modelle vor, mit denen psychosomatische Symptome und Umgangsverweigerung bei Trennungskindern zu erklären sind.
Fachübergreifende Teams
Aus den Beiträgen der Referenten und Teilnehmer wurde deutlich, dass der Entwicklung eines Entfremdungssyndroms bei Trennungskindern nur durch die Zusammenarbeit der anfangs erwähnten Berufsgruppen vorgebeugt werden kann. Da insbesondere bei Kleinkindern das kindliche Zeitgefühl eine herausragende Rolle spiele, sei bei Umgangsbehinderungen/Vereitelungen eine unverzügliche Intervention von Jugendämtern und Familiengerichten entscheidend. Ausufernde Rechtstreitigkeiten ließen sich zudem durch ein Verbot von Kindesmitnahmen aus dem elterlichen Haushalt ohne vorangehende Elternvereinbarung über den künftigen Umgang leichter vermeiden.
Zu den Autoren:
Dr. Walter Andritzky, Psychologischer Psychotherapeut, Sachverständiger in Familiensachen
Manuela Andrich, M.A., Pädagogin, Philologin
Würzburg, 6. November 2002
Zur Tagung gibt es Tondokumente
Die Moderation wurde unter anderen von Ursula Kodjoe übernommen.