Badisches Tagblatt – Interview vom 23.12.2011
Bad Rotenfelser Trennungsvater Franzjörg Krieg leitet Regionalgruppe „Väteraufbruch für Kinder“
BT: Mit welchen Sorgen und Nöten wenden sich Väter an Sie, die ihre Kinder selten oder gar nicht mehr sehen dürfen. Väter also, die ihren Kindern nicht Papa sein können?
Krieg: Es sind im Wesentlichen nicht einzelne Sorgen, die Väter im Rahmen eines Trennungsgeschehens zu uns führen. Meist ist es die Komplexität einer ausweglosen Situation, die dafür sorgt, dass auch Männer, die ansonsten in der Lage sind, ihre Probleme selbst zu lösen, sich nun Hilfe suchen. Ein großer Teil von Vätern wurde von der Trennung völlig überrascht und ist auch arglos und blauäugig in diese Situation getappt, weil sie sich vorher nie mit den Konsequenzen einer Vaterschaft unter den bei uns herrschenden Bedingungen auseinander gesetzt haben. Oft hat die Frau und Mutter die Trennung im Hintergrund detailliert vorbereitet, hat z.B. Ordner beiseite geschafft und den überraschenden Auszug mit dem Kind sorgfältig geplant. Immer wieder kommen Väter abends von der Arbeit nach Hause und die Wohnung ist leer geräumt. Was alle Väter, die zu uns kommen, eint, ist der berechtigte Verlust des Glaubens an den Rechtsstaat. Sie sehen sich plötzlich mit einer Situation konfrontiert, in der die Mutter ihres Kindes bestehende Gesetze missachten und jeden Anstand ignorieren darf und von niemanden darin gebremst wird. Oft sind gerade das Jugendamt und die Beratungsszene diejenigen, die Mütter in einer Art unterstützen, die offen legt, dass in einer solchen Situation eben nicht das Wohl des Kindes Richtschnur allen Handelns ist, sondern dass es eben nur darum geht, aus einer ideologischen Grundposition heraus blind die Befindlichkeit einer Mutter zu unterstützen.
BT: Eine ihrer mittlerweile erwachsenen Töchter haben Sie seit 15 Jahren nicht mehr gesehen. Wie sieht es in einem Mann aus, dem von heute auf morgen der Bezug zu den Kindern genommen wird?
Krieg: Kindesentzug ist grausame Folter. Das Faktum, dass die Mehrheit der obdachlosen Personen Männer sind oder dass die Suizidrate von Männern nach Trennung oder Scheidung acht Mal so hoch ist wie bei Frauen nach einer Trennung, verdeutlicht die Dimensionen. Die Missachtung des Männlichen und Väterlichen in unserer Gesellschaft hat Dimensionen angenommen, die unsere Gesellschaft jährlich in Milliardenhöhe schädigt. Ich habe die Gewalt, die mir angetan wurde, nicht mit Selbstzerstörung gekrönt, sondern habe eine konstruktive Orientierung gefunden, indem ich mir die Veränderung der gesellschaftspolitischen Verhältnisse zur neuen Lebensaufgabe machte.
BT: Aus diesen Erfahrungen heraus haben Sie sich in dem 1989 gegründeten und bundesweit aktiven Verein „Väteraufbruch für Kinder“ engagiert und im Jahr 2001 die Kreisgruppe Karlsruhe ins Leben gerufen. 240 Mitglieder hat die Gruppe mittlerweile und ist die am schnellsten wachsende. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Krieg: Dass allein meine Gruppe in Karlsruhe während den letzten 10 Jahren über 500 Beratungstreffen mit insgesamt rund 6000 Anwesenden abgehalten hat und dass wir mehr als 1300 Neufälle zu beraten hatten, ist ein deprimierendes Zeichen für den Zustand unserer Gesellschaft, die für sich beansprucht, ein moderner, aufgeklärter Rechtsstaat zu sein.
Ein gutes Zeichen ist es für die Leistungsfähigkeit des Vereins, der seit Jahren einen Arbeitsaufwand von mindestens zwei Vollzeitstellen an ehrenamtlicher öffentlicher Beratungsleistung erbringt – und das bisher ohne jede Förderung aus staatlichen Mitteln. Jede vergleichbare Beratungsorganisation aus alter mütterorientierter Tradition erhält dafür 20.000 bis 50.000 Euro jährlich aus Steuergeldern. Die Leistung, die wir seit 10 Jahren ohne jede entsprechende Anerkennung oder Unterstützung allein in Karlsruhe erbringen, entspricht allein an üblicher Förderungshöhe aus öffentlichen Mitteln einen Wert von einer viertel bis zu einer halben Million Euro.
BT: Welche Hilfestellungen und Ratschläge können Sie Vätern geben, die ähnliches durchleben wie Sie?
Krieg: Es ist nicht möglich, allein gegen Beton anrennen zu wollen oder Don Quichotte zu spielen. Da es sich eben nicht nur um persönliche Schicksale handelt, sondern da ein System struktureller Gewalt gegen Väter die Ursache der Misere ist, müssen die bestehenden Spielräume intelligent genutzt werden. Das geht in einem Bereich, in dem der Betroffene tief emotionalisiert und existenziell bedroht ist, nie allein. Nur der „Väteraufbruch für Kinder“ nimmt das Motto „Allen Kindern beide Eltern“ wirklich ernst und hat die Instrumente entwickelt, aus den schlechten familienrechtspraktischen Gegebenheiten das Optimum heraus zu holen.
Wir verwirklichen im VAfK Karlsruhe das umfassendste Hilfekonzept, das innerhalb des VAfK bundesweit umgesetzt wird. Neben der Beratung in vielfältiger Form bieten wir die Begleitung bei Umgangsterminen oder zu Behörden, Hilfe bei Schriftsätzen, Coaching vor Terminen beim Jugendamt, vor Gericht oder im Rahmen eines Gutachtens, setzen mediative Vorgehensweisen um und bieten die Begleitung zu Verhandlungsterminen beim Familiengericht in Sachen Umgang und Elterlicher Sorge. Und das alles ohne eigene Räume, ohne Bürozeiten und bezahlte Honorarkräfte. Dafür stehen wir fast rund um die Uhr zur Verfügung, gerade auch dann, wenn alle anderen Hilfeinstitutionen inclusive dem Jugendamt Feierabend haben oder Ferien machen. Und gerade zu diesen Zeiten, an Wochenenden, die die Kinder bei den Papas verbringen oder z.B. an Weihnachten, eskalieren viele Situationen.
BT: In einer Zeit, in der über Frauenquoten in Führungspositionen nachgedacht wird, basiert Familienpolitik immer noch auf Klischeevorstellungen?
Krieg: Natürlich, das ist ja der Kern des Problems. Frauen wollen die hälftige Teilhabe an allen attraktiven Posten. Sie fordern aber nicht die Quote in Berufen wie Müllmann oder Kanalarbeiter. Die Hälfte des Himmels, aber nicht die Hälfte der Niederungen. Frauen wollen emanzipiert sein, aber wie Väter ihre Kinder nur selten sehen und Mann und Kind durch ihre Arbeit finanzieren – da bestehen Mütter in breiter Mehrheit lieber darauf, sich auf Kind und Herd zurück ziehen zu dürfen. Es ist für viele Frauen attraktiver, sich versorgen zu lassen und dazu die Option auf einen öffentlich durch die Mütterlobby reklamierten Opferstatus beanspruchen zu können. Alimentierung plus Päppelung ist weit erstrebenswerter als Arbeiten und den Lohn dafür abliefern zu müssen – bei gleichzeitiger Abgrenzung vom Kind.
Wir haben es mit vielen Müttern zu tun, die entweder die volle Macht über das Kind in ihrem Besitz wissen wollen oder aber den Kontakt zum Kind vollkommen abbrechen. Und Mütter, die Unterhalt zahlen wie das sonst Väter machen, gibt es im Vergleich nur wenige. Die meisten unterhaltspflichtigen Mütter zahlen nichts, wobei sie darin von den Gerichten noch unterstützt werden. Ein den Unterhalt verweigernder Mann kommt auch schon mal ins Gefängnis, eine den Unterhalt verweigernde Mutter lässt die Richterschaft ungeschoren.
BT: In einer Gesellschaft, die in vielen Feldern noch als männlich-dominiert wahrgenommen wird, fehlt ausgerechnet den Vätern die Lobby?
Krieg: In Jugendämtern oder auf Richterstühlen eifern oft Männer darum, die ritterlichsten Feministen zu sein. Klare gesellschaftspolitische Analyse, politisches Bewusstsein und empathische Fürsorge ist unter Männern katastrophale Mangelware. Die meisten von ihnen wurden auch in der Erziehung durch Frauen darauf programmiert, es Frauen so recht wie nur möglich zu machen. Außerdem haben in der Politik als Folge einer gelungenen emanzipatorischen Geschlechterpolitik die Frauen bestimmte Felder belegt. Darunter befindet sich z.B. alles, was um das Thema Familie kreist. Die beiden Ministerien, die schon seit vielen Legislaturperioden von Frauen geleitet werden, sind das Bundesfamilien- und das Bundesjustizministerium. Die Belange von Vätern befinden sich genau im Schnittpunkt der Wirkungsbereiche dieser beiden Ministerien. Und das können Väter nach einer Trennung mit Kindern bis weit unter die Haut erfahren. Im Namen des „Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ kommen Männer zwischen 18 und 65 überhaupt nicht vor. Eine Einbeziehung der Probleme von Jungen und Männern wurde erst in der letzten Koalitionsvereinbarung zum ersten Mal formuliert.
BT: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht in der deutschen Gesetzeslage eine Benachteiligung der Väter – und damit Handlungsbedarf. Das Bundesverfassungsgericht hat 2010 nachgezogen: Es verletze das geschützte Elternrecht des Vaters, dass ihm das gemeinsame Sorgerecht generell verwehrt bleibe, wenn die Mutter ihre Zustimmung verweigert. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Krieg: Die Bundesregierung erhält mit steter Regelmäßigkeit seit vielen Jahren schallende Ohrfeigen aus Straßburg. Es ist international gesicherte Erkenntnis: Deutschland verstößt im Familienrecht gegen die allgemeinen Menschenrechte und gehört familienrechtlich zu den Schlusslichtern in Europa. Es wurde aber in Deutschland zu einem Tabu, der Frauen- und Mütterlobby zu Lasten von Kindern und Vätern erworbene Vorrechte streitig zu machen. So hat man lieber internationale Kritik in Kauf genommen, als innenpolitisch das klare Denken wirken zu lassen. Das Problem des Sorgerechtes für nicht eheliche Väter ist da nur ein Baustein im System. Dieser allerdings hat inzwischen große Bedeutung erlangt. Nicht nur, weil er so hohe Signalwirkung hat, sondern weil daran überdeutlich wurde, dass die Selbstheilungskräfte unseres Systems in diesem Zusammenhang nicht funktionieren. Trotz der über viele Jahre anhaltenden innenpolitischen Kritik und den vielen besseren Lösungen, die andere europäische Staaten in der Familienrechtspraxis umsetzen, haben sich alle deutschen Regierungen der letzten 30 Jahre nicht dazu berufen gesehen, menschenrechtswidrige Zustände im Familienrecht zu verändern. Sie haben dringend erforderliche Veränderungen immer so lange ausgesessen, bis der Europäische Gerichtshof deutsche Regierungen dazu gezwungen hat, endlich was tun zu müssen.
Das Bundesverfassungsgericht hat ja 2010 nicht nur nach der Ohrfeige aus Straßburg nachgezogen, es musste auch zugeben, dass sein eigenes Urteil vom 29.01.2003 in dieser Sache falsch war. Damals hatte sich das BVerfG als eben nicht unabhängig gezeigt, hat die Mütterlobby bedient und musste dieses Urteil deshalb sieben Jahre später korrigieren. Schon damals hatte es dem Gesetzgeber aufgegeben, zu prüfen, ob seine Annahme, dass jede deutsche Mutter gut sei und immer nur im Interesse des Kindes und nie egoistisch handele, auch zutrifft. Eben diese Aufgabe hat das Bundesjustizministerium – wiederum, um der Mütterlobby zu dienen – bis vor kurzer Zeit ausgesessen.
Das selbe Spiel läuft zur Zeit schon wieder. Mit der Korrektur im letzten Jahr hat das BVerfG dem Gesetzgeber die Aufgabe zugewiesen, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, wie nicht ehelichen Vätern der Zugang zur gemeinsamen Sorge eröffnet werden könnte. Und obwohl viele Länder in Europa zeigen, wie unproblematisch das geht, hat man in Berlin versagt. Die einfachste und auch augenscheinlichste Lösung wäre, nicht eheliche Kinder mit ehelichen Kindern und nicht eheliche Eltern mit ehelichen gleich zu setzen.
Die Parteien kamen aber überein, das Faktum, dass sie meinen, keine Lösung finden zu können, damit auszusitzen, dass sie jetzt beobachten, wie die Richterschaft mit einer eigentlich „gesetzlosen“ Situation umgeht. Erst wenn man versteht, was da wirklich abläuft, erkennt man das Trauerspiel, das die deutsche Politik seit Jahrzehnten im Familienrecht aufführt.
Eine gesetzliche Neuregelung steht noch aus. In Fällen, in denen die Mutter die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge verweigert, soll bis auf Weiteres das Familiengericht entscheiden. Sie begleiten häufig Väter aus Ihrer Gruppe zu Gerichtsverhandlungen. Wie sieht die Umsetzung der genannten Übergangsregelung in der Praxis aus? Dürfen Väter wieder häufiger Papa sein?
Wie wird wohl ein Richter entscheiden, wenn er keine klare gesetzliche Regelung als Vorlage hat? Er ist schließlich in der Gefahr, einem nicht ehelichen Vater die gemeinsame Sorge zuzugestehen, die dieser vielleicht nach einer noch kommenden, weit hinter einer europäischen Norm her hinkenden Regelung gar nicht erhalten hätte. So spielen Richter auf Zeit, verweisen in die Beratung, lassen Gutachten erstellen und hoffen, dass in Berlin endlich die Hausaufgaben gemacht werden.
Nur autonome Richter-Persönlichkeiten haben den Mut, die Chance zu nutzen, unter solchen Voraussetzungen neue Verhältnisse mit gestalten zu können. Aber eben diese starken Persönlichkeiten sind inzwischen vernehmbar und bekommen Aufwind. So gibt es neben den gewohnt ignoranten Lösungen auch zunehmend für Väter positive Signale.
BT: Ganz aktuell hat der Bundesgerichtshof das Recht von Männern gestärkt, denen von der Mutter ein Kind untergeschoben wurde. Mütter müssen den Namen des Erzeugers künftig nennen. Eine Entscheidung in Ihrem Sinne?
Krieg: Seit etwa zwei Jahren – fest zu machen ist dies am Erscheinen des Kinofilmes „Der Entsorgte Vater“, in dem ich mitwirken konnte – erhalten wir Väter aus der Politik zunehmend positive Lösungen in Teilaspekten. Es fallen Zinnen in den Mauerkronen der einseitigen Bevorzugung von Müttern in der Familienrechtspraxis.
Es ist einfach eine Ungehörigkeit, wenn eine Mutter als einzelne Staatsbürgerin völlig subjektiv das Ausmaß an Recht definieren darf, das ein Vater als weiterer Bürger desselben Staates zugewiesen bekommt. Es ist auch unmoralisch, wenn eine Mutter aus egoistischen Motiven heraus bestimmt, wer als der Vater ihres Kindes gilt – ohne jede Möglichkeit, dass der tatsächliche Vater eingreifen kann. Dass der BGH erst jetzt festgelegt hat, dass eine Abstammungsfälschung durch die Mutter nicht mehr hingenommen werden kann, ist nicht in erster Linie ein Erfolg, sondern ein deprimierendes Indiz für den Zustand unserer Republik.
BT: „Beim Familienrecht sind wir eine Bananenrepublik.“ Das haben Sie vor rund sechs Jahren in einem BT-Interview gesagt. Wo steht die BRD Ende 2011?
Krieg: Der VAfK Karlsruhe veranstaltet jedes Jahr zum Internationalen Tag der Menschenrechte in Karlsruhe „in der Stadt des Rechtes, auf dem Platz der Grundrechte, zum Tag der allgemeinen Menschenrechte, eine Kundgebung gegen Menschenrechtsverletzungen in der deutschen Familienrechtspraxis“. Wir fürchten, diese Tradition noch viele Jahre fortsetzen zu müssen.
Doch – wie schon oben erwähnt – gibt es deutliche Zeichen einer Reform, die sich in Vorgehensweisen z.B. nach dem Cochemer Vorbild, in Entscheidungen der höchsten Gerichte und im Erwachen mutiger Einzelpersonen im System äußert. Zentrum des Wechsels im Vorgehen ist die Abkehr von der Orientierung auf die Interessen der sich trennenden Erwachsenen und die Zuwendung zu den Bedürfnissen der Kinder. Wir Väter haben die Talsohle der Zumutungen durchschritten und befinden uns auf einem steten Weg aufwärts. Das Tempo, das dabei zu detektieren ist, lässt allerdings eine lange Serpentine nach oben erahnen.
Ich muss an dieser Stelle allerdings betonen, dass wir Väter nicht den Schwung des Pendels nach der anderen Seite erstreben. Wenn die Mütterlobby von der Politik das Alleinige Sorgerecht für Mütter fordert, reagieren wir mit der Forderung nach dem Gemeinsamen Sorgerecht zugunsten unserer Kinder. Das ist bedeutend mehrheitsfähiger und dient denen, um die es geht: Der nächsten Generation.