Entwicklung von Standards für Umgangsregelungen mit Kindern
Fachtagung in Karlsruhe am 13. November 2002
13.30 Uhr – 18.00 Uhr
Saal der Psychologischen Beratungsstelle
Erfahrungsbericht
Die Leiterin des Karlsruher Kinderbüros Frau Dr. Susanne Heynen begrüßte heute Nachmittag die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung im Saal der neugestalteten Räume der psychologischen Beratungsstelle in der Otto-Sachs-Straße. Die Veranstaltung war so gut besucht, dass Interessenten wegen Überbelegung abgewiesen werden mussten.
In welche Richtung die Fähnchen wehen, machten die Vorgaben klar:
– Auf jedem Stuhl lag die Broschüre „Begleiteter Umgang bei häuslicher Gewalt – Handlungsleitlinien“ der Berliner BIG. Darin wird zwar festgestellt, dass Gewaltformen auch sind: Permanente Beschimpfungen und Erniedrigungen, Kinder als Druckmittel einsetzen, Drohungen wie z.B. die Kinder wegzunehmen, etc., aber allein im Zusammenhang mit der Feststellung, dass die Gewaltausübenden ausschließlich Männer seien. Zitat: „Gewalt gegen die Mutter ist eine Form der Gewalt gegen das Kind“. An keiner Stelle des Heftes eine ähnliche Bewertung von Gewaltaktionen einer Mutter gegen den Vater.
– Das einleitende Hauptreferat „Sorge- und Umgangsrecht bei häuslicher Gewalt“ hielt Prof. Dr. Ludwig Salgo. Ich muss darauf im Folgenden besonders eingehen. Obwohl ich durch sein Auftreten bei der PFAD-Tagung in Rastatt vorinformiert war und wusste, was ich zu erwarten hatte, war ich zunächst von der emotionalen, tendenziösen, väterfeindlichen Botschaft seiner Ausführungen verblüfft und verärgert, beruhigte mich aber schnell, als ich feststellen musste, dass eine solche Art der Darstellung einfach nicht das wissenschaftliche Format hat, um ernsthaft darauf zu reagieren.
Schade ist, dass die Durchführung einer solchen Tagung für Fachkräfte aus den Beratungsstellen, Jugendämtern, Sozialen Diensten, für Rechtsanwälte und Richter schon von der Planung und Organisation her so entschieden tendenziös ausgerichtet ist. Damit fehlt das ernsthafte Format, das einem solchen Thema angemessen wäre. Den weniger erfahrenen SozialarbeiterInnen im Auditorium dieses Angebotspaket als der Weisheit letzter Schluss anzubieten, ist fahrlässig unverantwortlich und wirft ein schlechtes Licht auf die Fortbildungsarbeit in der ansonsten etwas offeneren Karlsruher Familienrechtsszene.
Referat von Prof. Dr. Salgo
Herr Salgo verwies zunächst in einem Schnelldurchgang auf die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben, was so zügig und oberflächlich ausfiel, dass das Publikum zum ersten Mal zum Lachen gereizt wurde. Die Oberflächlichkeit zeigte sich darin, dass zwar die UN-Kinderrechte als Grundlage genannt wurden – allerdings ohne den Hinweis, dass eben diese Rechte des Kindes in Deutschland nicht voll anerkannt sind. Oder auch darin, dass in manchen Gesetzen zwar hehre Ziele genannt sind, die aber in der Familienrechtspraxis nicht mehr zu erkennen sind.
Um das Problemfeld aufzuzeigen, listete der Referent eine Vielzahl von gruseligen Mordfällen aus England und schließlich auch aus Deutschland auf – alles Morde von Vätern an ihren Kindern. Ein Fall wurde von ihm mehrfach im Verlauf des Vortrages erwähnt: Bei einem Gerichtstermin bezüglich Umgang nach Gewalt stürmte das Kind auf den Vater zu und fiel ihm um den Hals, worauf die Richterin die Akte schloss und Umgang anordnete. In der Folge ermordete der Vater das Kind. Die Frage war nicht: Warum führt unsere Familienrechtspraxis gerade bei gewaltbereiten Vätern zum „Ausrasten“? Es ging dem Referenten ausschließlich um die Botschaft: Vorsicht mit Umgang bei Vorliegen von häuslicher Gewalt – diese Entscheidung ist lebensbedrohend.
Ich hätte bei entsprechender Gelegenheit Herrn Salgo überzeugende Gegenbeispiele aus der heutigen Presse entgegen halten können: Heute beginnt der Prozess gegen die Mutter aus Herrenalb (bei uns „um die Ecke“), die ihr 6 Monate altes Kind zuhause allein zurück ließ, während sie mit einem aus dem Internet gefischten Lover eine Woche bei diesem in Alpirsbach verbrachte. Das Kind verhungerte. In einem zweiten Fall brachte ein Paar 2 junge Mädchen bestialisch um. Die Frau zeigte schon gegen Ende ihrer Ehe auffällige Tendenzen in Richtung Sex und Gewalt, worauf die Ehe zerbrach. Sie bekam trotzdem das Sorgerecht. Die Tochter wohnte bei ihr. Die Mutter suchte sich einen zu ihrer Neigung passenden Partner, mit dem sie zusammen wohnte. Als die beiden Morde passierten, war die Tochter nicht zuhause. Abends, während die Tochter wieder zurück kam und zu Bett ging, lagen die beiden Leichen im Schlafzimmer ihrer Mutter und wurden in der Nacht von ihr und ihrem Partner weggebracht. Jetzt macht die Mutter auf „dumme Frau, die nur mitmachte, weil er es so wollte“. Ihr Ex-Mann weiß allerdings eine andere Wahrheit zu berichten und entlarvt diese Darstellung als Masche, sich vor der Verantwortung zu drücken. Man darf gespannt sein auf den Prozess.
Die Taktik des Referenten überzeugte in der Funktionsweise von gefilterter Beispielauswahl.
Herr Salgo stellte dar, dass bei der Ausarbeitung des Kindschaftsrechtsreformgesetzes die Variante „Vorliegen von häuslicher Gewalt“ nicht berücksichtigt wurde. Erst jetzt, nach den Erfahrungen mit dem Gewaltschutzgesetz, wird man auf das entsprechende Problem aufmerksam und es zeigt sich die Notwendigkeit der Rücknahme liberaler Reformkonzepte.
Die ersten Lacher der versammelten Frauen als Reaktion polemischer Äußerungen Herrn Salgos kamen nach seiner Feststellung, was denn die Formulierungen der „Wohlverhaltensklausel“ des § 1684 oder die Forderung der Trennung von Paar-Ebene und Eltern-Ebene sollen, wenn der Vater gegen Mutter oder Kinder Gewalt ausübt.
Der Referent hat den Eindruck, dass das Kind „außen vor“ bleibt, wenn nun plötzlich alle Umgang haben wollen: der Vater, die Oma, der Opa, etc…
PAS sei eine aus Kalifornien herüber geschwappte, wissenschaftlich nicht fundierte Theorie, eher als „popular junk“ zu qualifizieren, die von Männern als Waffe gegen die Mutter benutzt werde und ein amerikanisches Syndrom-Syndrom ausgelöst hätte.
In Folge der Umgangseuphorie der Kindschaftsrechtsreform würden Mittel in Höhe von Millionen „in Euro“ (mahnender Zeigefinger) für begleiteten Umgang ausgegeben werden, was im Hinblick auf die Gewaltproblematik nicht einzusehen wäre.
Männer dürften zwar nicht weinen, wenn aber am Vatertag Männer mit leeren Kinderwagen durchs Brandenburger Tor zögen, wäre sofort die Presse mit dabei (Gelächter der Damenszene).
„Die Behauptung, dass es genau so viel Gewalt von weiblicher Seite wie von Männern gäbe, können wir getrost vergessen.“
Kinder würden in Sachen Umgang durch die Beratungsszene und die Gerichte einer Gehirnwäsche unterzogen werden: „Willst Du, dass Dein Papa traurig ist?“ „Wenn ein Kind sich weigert, dann kommt die unselige PAS-Diskussion und der sorgeberechtigte Elternteil trägt die Schuld.“ In der Folge würden dann Kinder gegen ihren Willen zum Umgang gezwungen. „Der forcierte Umgang ist ein Bärendienst.“
Eine Frau hätte im Rückblick auf ihre Kindheit geäußert: „Ich hatte keine Freunde, weil ich am Wochenende immer zum Papa musste!“
Neben dieser nicht nur versteckten, sondern offen aggressiv emotionalen Polemik kamen aber auch einige interessante Hinweise:
– Nach dem SGB VIII, § 16, Abs 1, S.3, sollen die Jugendämter Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können. Dies müsse eingefordert werden.
– Für sozial schwache Väter gibt es die Möglichkeit, beim Sozialamt finanzielle Hilfe für Umgang – auch für Ferienaufenthalte! – anzufordern, eine Möglichkeit, die noch zu selten genutzt würde.
– Umgang müsse flexibler geregelt werden, da starre Regelungen bei einem sich ständig verändernden Gegenstand eben nur kurzlebig seien.
– Information für Kinder ist wichtig. Hier müsse ein Konzept her, das mit entsprechenden Unterrichtsthemen in der Schule ansetzen müsse.
Bei er anschließenden mehr Fragestunde als Diskussion hielt ich mich zurück, weil klar war, dass eine ernsthafte Diskussion nicht möglich sein würde. Zum Abschluss meldete ich mich mit einem Vorfall, wo eine Schülerin zur mir als dem Vertrauenslehrer gekommen war und mir erzählte, dass sie von ihrer allein sorgeberechtigten Mutter wiederholt verprügelt würde und ich fragte, wie ich mich verhalten solle. Natürlich passte die Frage nicht in sein Konzept. Er versuchte nur kurz auszuweichen (man müsse da fragen, warum die Mutter prügelt) – ging dann aber doch zügig so weit, dass er bis zur Sorgerechtsänderung plädierte.
Nach einer Pause teilte sich das Auditorium in fünf Gruppen, die jeweils ein Thema behandelten.
AG 1: Fallerfassung (Leitung Sozialer Dienst, SkF und KSB)
AG 2: Entscheidung über elterlichen Umgang und Sorge, richterlicher Gestaltungsspielraum (Richter und Rechtsanwältin)
AG 3: Gestaltung des Umgangs und Unterstützung der Beteiligten (Frauenhaus und SkF)
AG 4: Wie können Kinder angemessen beteiligt werden? (Kinderbüro)
AG 5: Wider das Vergessen? (Wildwasser und AllerleiRauh)
Wenn man die Liste der Gruppenleitungen betrachtet, ist klar, dass mir zur Schonung meines Adrenalinspiegels nur wenige Gruppen blieben, für die ich mich entscheiden konnte. Meine Wahl fiel schon bei der Anmeldung auf die Gruppe 2.
Ergebnis:
Umgang bei Vorliegen von Gewalt
1. Begrenzter Umgangsausschluss
– als Voraussetzung für alle weiteren Schritte: Übernahme des Täters für Verantwortung. Wer seine Schuld leugnet oder verharmlost, darf nicht damit rechnen, dass er im Umgang weiter kommt. (Was heißt das bei Vorlage eines bloßen behaupteten Gewaltvorwurfs?)
2. Beratungsauflage für den Täter und Rückmeldung ans Gericht
3. Betreuter Umgang (begrenzt oder unbegrenzt)
4. Unbetreuter Umgang
Neben diesen für mich nicht neuen Ergebnissen gab es auch interessante Hinweise:
– Nach § 1696 wäre jederzeit eine Abänderung des Umgangs möglich, wobei (im Fall des Nichtvorliegens von Gewalt) Ausweitung und eine flexiblere Handhabung die Zielrichtung wäre.
– Im Amtsgericht Karlsruhe-Durlach musste noch keine einzige Entscheidung gefällt werden im Zusammenhang von Umgang und Gewalt
– Eine Psychologin berichtete über einen Fall aus ihrer Praxis: Ein Mädchen wurde sexuell missbraucht – von ihrer Mutter. Die Tochter kam zum Vater, der das alleinige Sorgerecht erhielt und der jetzt bereit ist – privat den betreuten Umgang für die Mutter zu bezahlen!! Man stelle sich das im umgekehrten Fall vor – weiß jemand davon zu berichten?
Nach der Vorstellung der Ergebnisse im Plenum endete die Tagung planmäßig gegen 18 Uhr.
Außer der Fachinformation und einem weiteren Einblick in die Szene lag der Wert der Teilnahme für mich darin, wieder „Flagge zeigen“ zu können, manchen Personen zu vermitteln, dass sie mit einer kritischen Begleitung ihrer Aktionen und Äußerungen rechnen müssen und in den vielen Gesprächen und Kontaktaufnahmen am Rand der Tagung.
Franzjörg Krieg
VAfK Karlsruhe