Am 10.05.2019 hatte das Frühjahrstreffen der Interdisziplinären Facharbeitsgemeinschaft Trennung und Scheidung (IDFAG TuS) Karlsruhe das oben bezeichnete Thema.
Im Rückblick auf die Geschichte des Karlsruher Weges seit dem ersten Treffen am 26.10.2005 kann festgestellt werden, dass sich die bundesweite Welt der Familienrechtspraxis einerseits und die Welt der Sozialpolitik in Karlsruhe im Besonderen gewaltig veränderte.
Karlsruhe war Pilotprojekt für das Gewaltschutzgesetz, aus dem Rathaus kamen Sätze wie „Gewalt zuhaus‘, Mann muss raus“, das Kinderbüro war eher ein Mütterbüro, auf dessen Homepage Väter nur als Täter existierten und aus dem Jugendamt des Landkreises kamen Sätze wie „Für eine Vorgehensweise nach dem Cochemer Modell eignen sich in Karlsruhe höchstens 10% aller Fälle“.
So, wie die Cochemer Vorgehensweise immer noch einen Siegeszug durch inzwischen viele Länder feiert und im Oktober 2015 vom Europarat für alle europäischen Staaten empfohlen wurde, hat die Entwicklung gezeigt, dass auch der Karlsruher Weg sich aus enger ideologischer Verflechtung emanzipieren konnte und mit dazu beigetragen hat, dass unselige Auswirkungen des Residenzmodells gemildert wurden und dass Teile der Professionen vorbereitet wurden, mit der Doppelresidenz als dem endgültigen Paradigmenwechsel umgehen zu können.
Soweit also eine Erfolgsgeschichte.
Nach diesem Intro nun direkt zum Thema des Treffens:
Immer wieder stolpere ich über die Sprache der Professionen. „Kindesvater“, „Kindesmutter“, „Umgang“ sind wie selbstverständlich von allen Professionen benutzte Begriffe, die nie hinterfragt werden. Ich habe schon lange ein Problem damit.
„Die Eltern boykottieren…“ – nein, ein Elternteil boykottiert. „Leute brechen die Beratung ab“ – nein, es sind meist ganz bestimmte einzelne Elternteile, die dann die Beratung abbrechen, wenn sie fürchten, dass ein Teil ihrer Privilegien in Gefahr ist. Wir sollten sorgfältiger auf unsere Sprache achten und nicht vernebeln aus Angst, angreifbar zu werden.
Ich kann mich noch gut an das Treffen der IDFAG TuS am 18.11.2005 erinnern, damals noch in einem tiefvioletten Karlsruhe und noch nicht im Antoniusheim, sondern im Caritaswaldheim. Es war Frau Ziegenhorn, die vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen aus dem BU beim KSB mit ihrer Feststellung schockierte, dass wir uns inzwischen daran gewöhnen müssten, dass „Umgangsboykott eine Form von Gewalt“ sei. Ich kann mich auch gut an den Protest einiger Frauen aus der Helferinnenszene erinnern, die meinten, bei diesem Treffen seien die Väter viel zu gut weggekommen.
Diese seit 1990 regelmäßig im Frühjahr und im Spätjahr stattfindenden Treffen sind wie die Treffen des Karlsruher Weges ein Erfolgsmodell für sich, immer wieder besucht von 50 bis 80 Personen – inklusive RichterInnen. Leider kann in der kurzen Zeit ein Thema immer nur angesprochen und nie erschöpfend ausdiskutiert werden. Aber das Faktum der Möglichkeit der Begegnung ist für sich schon ein wichtiger Wert.
Meine Gedanken, die ich dazu hatte und nicht alle äußern konnte, möchte ich hier aufnotieren.
Ein wichtiges Element des Karlsruher Weges ist die Verweisung der Problematik aus dem Gericht heraus in ein beraterisches Setting, meist bei der Psychologischen Beratungsstelle. Die Idee ist dabei, die Eltern als einzige legitime Entscheider über das Schicksal ihres Kindes mit Unterstützung von außen wieder dazu zu bringen, ihre Bankrotterklärung auf der Elternebene aufzugeben und ihre Wirksamkeit wiederzuerlangen.
Das Problem dabei bleibt meist unausgesprochen, weil das politische Diktat des Residenzmodells unkritisch umgesetzt und nicht hinterfragt wird. Die Diskussion um das Wechselmodell ist geprägt durch viel Kritik an einem Modell, das allen übergestülpt werden solle, was so nicht stimmt. Dabei bleibt verschwiegen, dass das Residenzmodell machtpolitisch erhalten bleibt und allen übergestülpt wurde und immer noch wird, völlig ohne jede Studie dazu, wie es wirkt und was es mit unseren Kindern macht.
Es gibt im Residenzmodell ein Elternteil mit Verfügungsmacht über das Kind, das – weil es das Kind „besitzt“ – auch das Geld erhält und ein Elternteil, das – weil es um den Kontakt zum Kind kämpfen, klagen und Rechtsanwälte bezahlen muss – auch noch die „Einelternfamilie“ finanzieren muss und dafür in die Steuerklasse 1 gesteckt wird. Familie wird steuerrechtlich als Hobby gewertet. Diese institutionalisierte Disbalance ist menschenrechtswidrig, infam, für mich obszön – wird aber nicht thematisiert.
Wenn dann noch in der Beratung die Befindlichkeit des Elternteils mit Verfügungsmacht (immer wieder als Verfügungsgewalt missbraucht) höherwertig behandelt wird als die Interessen des Kindes, gerät die Verweisung in die Beratung zur Sackgasse. Beratungsvitas von einem Jahr oder länger – völlig ohne Ergebnisse – hebeln den Karlsruher Weg aus und machen ihn zum Martyrium für Kind und ausgegrenztes Elternteil.
Die Beratung fokussiert auf die beiden konkurrierenden Eltern und deren Interessen. Das Kind bleibt mit seinen ureigenen Interessen weitgehend außen vor. Außerdem wird dem „kindesbesitzenden“ Elternteil ein Bonus zugesprochen (besonders, wenn es die Mutter ist), was dazu führt, dass Missbrauch in Form von Verfügungsgewalt stillschweigend geduldet wird.
Damit werden die öffentlich finanzierten Professionen tendenziell zu Unterstützern der Elternteile mit Verfügungsmacht. Das Aufbrechen dieser mütterzentrierten Machtstrukturen wird als Tabu angesehen. Überall dort, wo die Instrumente, die gegen Väter geschaffen wurden, inzwischen auch Mütter betreffen, erhebt sich lautes Wehklagen – dabei betreffen die Unsäglichkeiten des Residenzmodells immer die Kinder und hundertfach mehr Väter als Mütter.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, aus dieser kindeswohlwidrigen und allgemein auch menschenrechtswidrigen Mühle auszubrechen:
Entweder die Anzahl der von Ausgrenzung vom Kind betroffenen Mütter muss rasant ansteigen oder – weit besser – über den Paradigmenwechsel zur Doppelresidenz werden die Eltern noch vor der Findung einer individuellen Lösung balanciert, womit Verfügungsmachtmissbrauch verhindert wird.
So unkritisch das Residenzmodell insgesamt verwaltet wird, so wenig hinterfragt bleiben auch die Elemente der besonderen Machtstrukturen im Elternverhältnis nach Trennung und Scheidung.
Anschaulich wird dies am Begleiteten (betreuten, beschützten) Umgang, dem BU.
Die Träger von BU sind deshalb chronisch überlastet, weil der Missbrauch dieser Einrichtung zum familienrechtspraktischen Alltag gehört. BU war und ist nicht das Instrument, um nach einer nachhaltigen Störung der Eltern-Kind-Beziehung wieder Beziehung wachsen zu lassen, sondern ist meist das Mindestzugeständnis, das umgangsboykottierende Elternteile dem konkurrierenden Elternteil (Antragsgegner) machen müssen. Es ist damit die Zumutung, die Kind und Verlierer im Residenzmodell aufgedrückt bekommen, weil die kindeswohlwidrige Befindlichkeit des Elternteils mit Verfügungsmacht nicht sanktioniert wird.
BU ist außerdem zu starr und mit vielen Nachteilen behaftet. Er wird in Staffeln genehmigt, die abgearbeitet werden – ohne jede flexible Reaktion auf die tatsächliche Befindlichkeit von Kind und mit ihm „verdonnertes“ Elternteil. Es gibt keine niederschwelligen Angebote wie Eltern-Kind-Spielkreise und er versagt dann, wenn er besonders gebraucht wird – an den Wochenenden.
Die Überlastung der Träger führt dazu, dass von der Festlegung von BU im familiengerichtlichen Verfahren bis zum ersten Kontakt von Kind und abgeurteiltem Elternteil immer wieder ein halbes Jahr und mehr vergeht. Dies ist nur noch als institutionell geplanter Kindesmissbrauch zu bewerten.
Wenn dann noch ein Träger von BU davon ausgeht, dass Väter immer potentielle Täter sind und dass Kinder sowieso grundsätzlich (zu) ihren Müttern gehören, muss man(n) sich nicht wundern, wenn schräge Abläufe den familientrechtspraktischen Alltag bestimmen.
Aktuell erlebe ich, wie in Karlsruhe eine durch einen Antrag des Jugendamtes nach §1666 BGB und durch ein psychiatrisches Gutachten zu einer Langzeittherapie verpflichtete Mutter wöchentlich 4 Stunden BU erhält, obwohl sie vor den Kindern die Begleiterin mit nicht zitierbaren Vokabeln beschimpft und bespuckt. Das Jugendamt besteht auf der Fortführung von BU in dieser außergewöhlichen Taktung, obwohl das für keine Fachkraft eines Trägers zumutbar ist.
Warum erhält eine solche Mutter die 4-fache Ressource an BU und blockiert damit den BU für 3 weitere Väter, die üblicherweise nur 2 Stunden alle 14 Tage erhalten und darauf auch noch monatelang warten müssen?
Welche Bewertungskriterien haben Fachkräfte im Jugendamt im Kopf, wenn sie ein solches Deaster auf diese Weise steuern?
Diese grundsätzliche Misere von BU wird manchmal durch die (eigentlich nicht so gedachte) Erweiterung der Arbeit des Umgangspflegers aufgefangen. Wenn es gelingt, den UP nicht nur zur Übergabe, sondern auch zur Begleitung einzusetzen, sind damit äußerst flexible Lösungen möglich.
Unter dem Stichwort „Gewalterfahrungen“ wurde und wird (besonders in Karlsruhe) fast ausschließlich männliche Gewalt gegen weibliche Opfer und deren Kinder verstanden. So zumindest war das auch beim Treffen am 10.05.2019 so. Das ist zwar immer noch politisch korrekt, widerspricht aber den realen Abläufen. Die Gewaltform mit fataler, meist lebenslanger Wirkung in Trennungsabläufen ist der Missbrauch der Verfügungsmacht von „kindesbesitzenden“ Elternteilen. Und das sind zu 90% Mütter.
Erst wenn wir in Deutschland 400 autonome Männerhäuser haben, in die Väter mit ihren Kindern flüchten können, wenn sie von Gewalt durch die Frau bedroht sind (oder sich auch nur bedroht fühlen), wird erfahren werden, was seit Jahrzehnten in Deutschland an Kindern und Vätern verbrochen wird. Damit negiere ich nicht, dass es Gewalt von Männern gibt. Ich mahne nur an, dass der Missbrauch nicht sanktioniert wird und dass damit der Missbrauch des Gewaltschutzgesetzes die realen Abläufe prägt.
Natürlich stoßen wir alle an die gläserne Decke, die von der Politik eingezogen wird und allein von dieser auch verantwortet werden muss. Ich möchte aber von allen Beteiligten im Kreis der Professionen erwarten, dass sie sich dieser Begrenzung bewusst sind, dass sie sich damit beschäftigen und mit dazu beitragen, dass die Unsäglichkeiten, die davon ausgehen, möglichst gemildert werden.
Was die Politik veranstaltet (verunstaltet), konnte zuletzt am 15.03.2018 im Fernsehen verfolgt werden: Die Fachfrauen (bis auf eine Ausnahme alles Familienrechtsanwältinnen) als Vertreterinnen der Parteien äußerten sich zum Antrag der FDP zur Einführung des Wechselmodells. Was an Unwissen und bewusster Zurschaustellung von Unvermögen dabei öffentlich zelebriert wurde, öffnet die Augen.