Wenn Gardner als PAS nur das Ergebnis der Wirkung des bewusst indoktrinierenden Elternteils meint, muss nach meiner Erfahrung unbedingt differenziert und erweitert werden. Die gesamte Palette der vom Kind ausgehenden Bevorzugungsmechanismen des „Kindesbesitzes“, von Loyalitätskonflikten bis zu den heftigen Ablehnungen des Kindes gegen das ausgeschlossene Elternteil, sind zunächst Auswirkungen des politisch-ideologisch verorteten Residenzmodells, das nach einer Trennung vom Ende der Familie und von der ungeprüften Richtigkeit der Kürung eines mit allen staatlichen Vorteilen versorgten „alleinerziehenden“ Elternteils und der Richtigkeit des Ausschlusses des zweiten Elternteils ausgeht. Dieser hat in der Folge alle Nachteile zu tragen. Sie reichen von der vollen Bar-Unterhaltsverpflichtung auch bei Stellung eines Kinderzimmers und Übernahme eines umfangreichen Anteils von Betreuung bis zur Einordnung in eine Steuerklasse, die dem eines Singles mit aufwändigem Hobby entspricht.
Das Kind bekommt dadurch das Signal, dass das kindesbesitzende Elternteil alle Rechte besitzt, von denjenigen, die das Familiengericht ihm übertragen hat bis zu denen, die es sich einfach ungestraft nimmt (Anmeldung an Kindergarten/Schule ohne Einbeziehung des Sorgerechtspartners, ärztliche Therapien ohne jede Information an den Mit-Sorgeberechtigten, etc. 1). Da eine solche Übergriffigkeit der Kindesbesitzerin/ des Kindesbesitzers nie geahndet wird, ist eben diese Machtdemonstration der Alleinerziehenden/des Alleinerziehenden gängige Praxis. Das Kind erlebt damit, dass das ausgegrenzte Elternteil evtl. „nett“ ist, aber nichts zu sagen hat. Unbewusst bedient es in der Folge auch die nur nonverbal und subtil geäußerten bzw. versteckt signalisierten Befindlichkeiten desjenigen Elternteils, von dem sie völlig abhängig sind und bei dem die Restsicherheit verortet ist. Dieses Verhalten des Kindes ist nach dem Verlust eines Elternteils eine unbewusste Notmaßnahme zur Festigung der verbleibenden Restsicherheit.
Kleinkinder im Vorschulalter zeigen oft erstaunliche Resilienz und bewahren ihre Loyalität beiden Eltern gegenüber. In der Vorpubertät und Pubertät können sie die sich widersprechenden Wahrheiten im Umfeld ihrer Eltern nicht mehr ertragen und retten ihre Identität auf die Seite der Macht. In der Folge geben sie ihre Urteilsfähigkeit auf und sehen comic-haft schwarz-weiß. Wo sie selbst sind, muss alles gut und richtig sein, was bedeutet, dass beim anderen Eltenteil alles Schlechte und Falsche angesiedelt sein muss.
Diese unbewusst getroffene Entscheidung hat weit reichende Folgen und wirkt sich meist bis ins hohe Erwachsenenalter oder auch bis ans Lebensende aus. Auch Intelligenz löst das Problem nicht. Sie wird nicht zur Bewältigung des Problems eingesetzt, sondern allein zur Begründung der eigenen Prädisposition. In einigen Fällen wird das Problem erst viel zu spät therapeutisch aufgearbeitet. Da aber Therapeuten ebenfalls im System und durch das System ihr Geld verdienen, sind sie meist nicht in der Lage, die Gründe für psychische Erkrankungen zu erkennen (erkennen zu wollen).
Ich erlebe, dass entsorgte junge Väter nicht realisieren können, dass in ihrer Ablehnung des eigenen Vaters und im Aufwachsen bei einer alleinerziehenden Mutter der Schlüssel zu ihrem eigenen Schicksal als Vater verborgen ist.
Die immer wieder geäußerte Formel vom Kind, das mit dem Erwachen des eigenen Willens schon wieder zum ausgegrenzten Elternteil finden wird, ist in der Regel dümmliches Geschwätz und bewahrheitet sich in der Realität nur in sehr seltenen Fällen.
In vorauseilendem Gehorsam übertreffen an das kinderbesitzende Elternteil gebundene Kinder nicht selten sogar die Erwartungshaltungen auch des nicht offen und bewusst indoktrinierenden Elternteils. Der Normalfall besteht darin, dass die logischen Konsequenzen des Residenzmodells das Kind dazu bringen, die Ausgrenzungsbemühungen gegen das zweite Elternteil selbst mit zu steuern, weil es sich aus der symbiotischen Bindung an das bewusst oder auch nur unbewusst induzierende Elternteil nicht lösen kann.
Das nur unbewusst induzierende Elternteil kann nicht realisieren, dass es de facto gegen das beste Interesse des Kindes handelt und schwört darauf, eben nicht zu indoktrinieren und wird auch in dieser Funktion nicht erkannt. Das reagierende Kind, dessen Haltung eher mit dem „Stockholm-Syndrom“ erklärt werden kann, wird auch als gefestigt in seiner Haltung wahrgenommen und die Ausgrenzung des zweiten Elternteils wird eben nicht mit einer Aktion des besitzenden Elternteils, sondern mit dem Erleben und Empfinden des Kindes begründet.
Diese Funktionsmechnismen wurden noch nie erforscht. Es ist ein Tabu, die negativen Folgen des Residenzmodells anzusprechen und aufzuarbeiten, weil damit Jahrzehnte ideologisch begründeten staatlichen Handelns in Frage gestellt werden müssten und in Konsequenz ausgegrenzte und vom Kind abgeschottete Elternteile und die somatisierten Kinder selbst damit auch endlich als Systemopfer erkannt werden müssten.
Das heftige Sträuben gegen die Doppelresidenz inklusice der Ignoranz allen internationalen Studien gegenüber zeigt die bewusste Glorifizierung des ungeprüft eingeführten Residenzmodells, die staatlich gesteuerte Akzeptanz aller daraus resultierenden Folgen und Kosten und das Klammern an längst überholte und den Realitäten nicht mehr gerecht werdende Modelle der Problembewältigung im familialen Kontext.
Auch die Ignoranz dem real existierenden Problem PAS gegenüber hat den alleinigen Zweck, pathogene Folgen des Residenzmodells zu bagatellisieren. Natürlich existiert dieses Problem, aber die Professionen streiten sich darüber, ob es überhaupt existent ist und leben diese Ignoranz als Kritik an einer These oder Theorie aus, anstatt das Faktum der Existenz eines Problems zunächst erkennen zu wollen und damit auch die Notwendigkeit zu erkennen, dieses Problem zu beschreiben und seine Existenzbedingungen zu erforschen.
Mir persönlich ist egal, mit welcher Theorie das real existierende Problem – bzw. die Krankheit – beschrieben wird. Ich stelle fest, dass es dieses Problem gibt und dass es wirkt.
Dass die Bewältigung staatlich gesteuert verhindert wird, bedingt wiederum die bewusste Generierung von Systemopfern.
1 In einem von mir betreuten Fall hatte die Mutter der Zulassungsbehörde gegenüber mit Unterschrift erklärt, sie sei allein sorgeberechtigt. Sie wollte damit allein in den Genuss der Kfz-Steuerbefreiung kommen, weil das Kind mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen war. Der Vater sollte nicht die Möglichkeit haben, dies in Frage zu stellen. Als der Vater dies im Rahmen einer Verhandlung mitteilte, wurde nicht die Mutter von der Richterin am Familiengericht Böblingen gerügt, sondern der Vater, weil er die Mutter nicht ausreichend wertschätzte.